Yunan und Duban

Musik. Lukas Haselböck | Partitur
Text. Kristine Tornquist | Libretto
Arzt Duban. John Sweeney
König Yunan. Rupert Bergmann
Der Grosswesir. Richard Klein
Polospieler. Barbara Braun. Christian Kohlhofer. Tristan Jorde. Katharina Köller. Stefan Kurt Reiter. Benedikt & Gaban Büllingen

Das Gift der Paranoia

In den Monaten vor Stalins Tod war von einer Ärzteverschwörung die Rede. Einige der bekanntesten sowjetischen Ärzte wurden beschuldigt, die Parteispitze vergiften zu wollen. Der Verdacht erledigte sich, als Stalin eines natürlichen Todes starb. Kurz zuvor liess Stalin jedoch noch den Arzt Bechterew vergiften und dessen gesamte Familie ermorden, nachdem dieser ihm Paranoia diagnostiziert hatte. Hätte Stalin die Geschichte von Yunan und Duban gekannt – die in den Geschichten aus Tausend und einer Nacht der Fischer dem misstrauischen Ifrit erzählt – hätte er lernen können, dass Misstrauen gerade die Gefahr, vor der man sich schützen will, heraufbeschwört. Es nützt nichts, gegen Paranoia zu morden, denn jeder Mord bringt noch bessere Gründe für Misstrauen und Verdacht. Misstrauen ist der Preis der Macht. Sie vergiftet das schöne Leben des Mächtigen. Alle Diktatoren zahlen diesen Preis, bzw lassen ihre Untertanen im Voraus bezahlen.

Saddam Hussein liess das gesamte Dorf Dudschail ausrotten, nachdem dort auf ihn ein Anschlag verübt worden war. Gadhafi liess seine Gegner sogar im fernen Europa hetzen. Regimekritiker verschwanden - und verschwinden immer noch – fast überall auf der Welt in Foltergefängnissen oder werden wie im Iran in Schauprozessen zum Tod verurteilt. Doch Misstrauen und Paranoia der Macht sind nie gesättigt, im Gegenteil. Je mehr Opfer sie verantwortet, umso blutiger muss sie gefüttert werden. Wo endet die sogenannte gesunde Vorsicht und wo beginnt die Paranoia? Der Patient legt sein Leben in die Hand des Arztes, da ist eine überlegte Wahl kein Fehler. Für einen Paranoiker ist die vertrauliche Beziehung zwischen Patient und Arzt eine besondere Herausforderung. Denn der Misstrauische fürchtet nichts mehr als sein eigenes Vertrauen, das ihn angreifbar macht.

Ein arabisches Sprichwort lautet: „Ich esse dich zu Mittag, bevor du mich zum Abendessen verspeist“ – oder anders formuliert von Muhammad bin Raschid Al Maktum, derzeitiger  Herrscher von Dubai: „Jeden Morgen erwacht in Afrika eine Gazelle mit dem Wissen, dass sie dem schnellsten Löwen entkommen muss, damit sie nicht getötet wird. Jeden Morgen erwacht in Afrika ein Löwe mit dem Wissen, dass er schneller sein muss als die langsamste Gazelle, damit er nicht verhungert. Ganz gleich ob Du Gazelle oder Löwe bist: bevor die Sonne aufgeht, wärst Du besser schon losgerannt.“ Wer in der Welt der Raubtiere lebt, lebt gefährlich: die Gazelle so wie der Löwe. Der Patient so wie der Arzt.

Yunan und Duban - Inhalt

Nach langer Zeit findet sich endlich ein Arzt, der den aussätzigen König Yunan heilen kann - allein dadurch, dass er dessen Polo-schläger präpariert. Der reich belohnte Arzt Duban ist jedoch dem eifersüchtigen Wesir ein Dorn im Aug. Er spinnt eine Intrige, die Yunan schliesslich überzeugt. Er lässt den Arzt hinrichten. Doch der Arzt lässt nicht nur seinen abgetrennten Kopf weitersprechen, sondern vermacht dem König auch noch ein grosses Buch, das sein gesamtes geheimes Wissen umfassen soll. Gierig blättern Wesir und König darin, kaum ist der Arzt beseitigt ist. Damit liefren sie sich seiner Rache aus - das sonst unbeschriebene Buch ist mit seinem stärksten Gift benetzt.

Lukas Haselböck über seine Komposition

Bei der Komposition einer Oper – egal, ob es sich um ein abendfüllendes Werk oder um eine Kurzoper handelt – geht es wohl primär darum, eine Geschichte auf möglichst nachvollziehbare und spannende Weise zu erzählen: Aus plastischen Elementen soll Leben entstehen, eine Welt gebaut werden. Diese Einfachheit und Einprägsamkeit schließt aber nicht das Wesen des In-der-Welt-Seins aus: Wie im Leben, so begegnet uns auch in der Oper ein unentwirrbares Ineinander-Verflochten-Sein menschlicher Schicksale, das seinen Widerpart in musikalischer Komplexität findet. Durch die Addition und Interaktion einfacher Ausgangselemente kann ein wahres Dickicht von Gefühlszuständen, Vorahnungen und Reminiszenzen entstehen. Dieses Spannungsverhältnis zwischen Einfachheit und Vielschichtigkeit der Darstellung gilt es produktiv zu nutzen.

In Yunan und Duban ermöglicht bereits die Instrumentalbesetzung eine reiche Palette an gegensätzlichen Stimmungen. Plastisch geformte Kontraste sind aber auch durch unterschiedliche Formen und Strukturen bedingt. So wird zum Beispiel die Anfangsszene in mechanistischer Strenge realisiert, als unerbittlicher Ablauf, der das schicksalshafte Leiden des Königs Yunan versinnbildlicht. Zu dieser strukturgebundenen Passivität kontrastiert die souveräne Aktivität des Arztes Duban. Sein medizinischer Diskurs über die Geheimnisse des menschlichen Körpers wird in einer traditionell „gelehrten“ Form – einer Passacaglia, die den Quintenzirkel durchschreitet und sich dabei variativ steigert – in Musik gesetzt (dabei hatte ich wohl den Doktor in Alban Bergs Wozzeck im Hinterkopf – dies wird mir aber beim Schreiben dieses Textes eben erst bewusst). Im Gegensatz dazu werden in wichtigen Momenten oder an Wendepunkten des Geschehens vokale Solopassagen als erratische Blöcke ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt.

All diese Elemente sind durch vielschichtige Korrespondenzen miteinander verknüpft. Insgesamt entsteht demnach durch lineare Prozesse und Kontraste, durch Ver- und Entflechtungen ein Ablauf, der die widerstreitenden Gefühle der Protagonisten – Leiden und Heilung, Treue, Eifersucht und Verrat, Leben und Tod – widerspiegelt. Im Leben träfe uns all dies als bitterer Ernst des Faktischen, in der Kunst bleibt es die Virtuosität des Möglichen: ein Spiel. Doch ließe sich hier zu Recht einwenden: Vielleicht haben Yunan und Duban tatsächlich existiert. Ist dies das Protokoll einer wahren Geschichte? Leben und Kunst: Wo ist die Grenze?

Quite an entertaining piece, somehow funny, interesting, typical of today’s musical output in Austria.
Christian Heindl

mica Lexikon
Lukas Haselböck
Lukas Haselböck über seine Operneinakter