Die Presse, 19. November 2004, Gerhard Kramer (pdf)

Katastrophen en miniature

Miniaturkatastrophen und Millimeterkrisen - so griffig umreißt Kristine Tornquist die Idee der sieben "Operellen", die sie für ihr Haus in Auftrag gegeben hat. Kürzestopern zu je 15 Minuten für die jeweils gleiche Konstellation von vier Sängern und einem Schauspieler sollten es werden: Johann und Johanna, der Zwerg, der Dieb, Voltaire - man könnte sie als Typen einer modernen Commedia dell'arte begreifen. Vor zwei Wochen war am Tiroler Landestheater Premiere. Nun, im Wiener Jugendstiltheater, war zu konstatieren, dass die spannende Idee nur partiell aufgegangen ist.

Am ehesten gelang das vielleicht Walter Titz im einleitenden "HerzLosZeitLos", dem leichten Spiel mit Blumen und einem leuchtenden Herzen. Peter Planyavsky hat dazu eine adäquat lockere, durchsichtig-lineare Musik geschrieben. Konträr dazu die rhythmisch geballten, Musical-nahen Entladungen, die der junge ungarische Schwertsik-Schüler Akos Banlaky zu "Schock - Ein Hunderennen" auf einen Text von Ratschiller & Tagwerker geschrieben hat. Dann lässt Hermes Phettberg in "Schutt" seine vier Sänger, auf Eimern sitzend, langatmige Lamentationen von Schmutz und Fäulnis anstimmen, kongenial - und das heißt: in gleicher Öde - vertont von Gilbert Handler.

Friederike Mayröcker begnügt sich in "Stretta" mit drei Personen: Johanna beobachtet aus dem Jenseits ihren geliebten Dichter Johann beim Diktat; Wolfram Wagner hat seine liebliche Musik ideal dem sanft-melancholischen Tonfall des Textes angepasst. Mehr Mühe hat sich Wolfgang Bauer mit "Das gestohlene Herz" gegeben: absurdes Theater bei den Pyramiden, leider von Jury Everhartz durch seinen dichten, pseudobarocken Tonsatz um jede Wirkung gebracht - da half nur mehr eine quasi konzertante Wiedergabe. Humorvoll bespiegelt Radek Knapp in "Die vertauschten Köpfe" menschliche Eitelkeit; etwas übertrieben charakterisiert der Tiroler Christof Dienz seine witzige Musik als "triefenden Kitsch" . . . Zuletzt "Schlaf der Gerechten" auf einen eigenen Text von Kristine Tornquist, wo Eltern in rascher Folge drei missratene Kinder zeugen. Mit klarer formaler Gestaltung und eleganter motivischer Arbeit demonstrierte da Kurt Schwertsik seine Meisterschaft.

Von Tornquist stammt auch die Regie, die keinerlei Leerlauf aufkommen lässt, von Walter Vogelweider der drehbare Kubus als Spielfläche. Julia Libiseller steuerte die heiteren Kostüme bei. Stilistisch wendig spielt das Tiroler Ensemble für Neue Musik, sicher geführt von Doran Keilhack; unter den tüchtigen Darstellern ragt Dan Chamandy mit seinem expansionsfähigen Charaktertenor hervor.

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