Oper in Wien, Dominik Troger

Kurz gewürzt

Das sirene Operntheater hat eine „Versuchsanordnung“ für sieben Kurzopern (=„Operellen“) entwickelt und in Kooperation mit dem Tiroler Landestheater bühnenreif umgesetzt. Fünf vorgebene Figuren (Johann und Johanna, ZwergIn, DiebIn sowie Voltaire) beleben sieben rund 15 bis 20 Minuten lange Stücke. Zum Komponieren und Texten hatte man sowohl junge als auch arrivierte Textdichter und Komponisten eingeladen.

Nach der Uraufführung am Tiroler Landestheater übersiedelte die Produktion für drei Aufführungen ins Wiener Jugendstiltheater auf der Baumgartner Höhe. Bei dem insgesamt erfrischenden Gesamteindruck dieser Produktion wäre es schade, sollten diese drei Aufführungen die letzten gewesen sein. Denn in so mancher Kürze lag auch einiges an Würze.

Diesmal gab es zur Abwechslung wieder eine ganz klassische Guckkastenbühnensituation. Das kleine Kammerorchester war links im Saaleck platziert. Ein großes dreh- und begehbares Würfelhaus setzte den markanten Bezugspunkt auf der Bühne. Da konnten die Mitwirkenden hinein- und hinaus- und herumgehen. Da konnten sie innen hinaufklettern und wie von einem kleinen Turm ins Auditorium mit der nur bis etwa zur Saalmitte gebauten Zuschauertribüne spähen. Dazu kamen Requisiten je nach Bedarf. ZwergIn erkannte man an rotem Gewand und Zipfelmütze, Voltaire an einer etwas verstaubten Perücke, DiebIn kam zum Beispiel in Schwarz, JohanNa nach Bedarf.

Den Beginn im Einheitsbühnenbild machte „HerzLosZeitLos“ von Walter Titz und Peter Planyavsky (Musik) – über das Verlieren und Finden von „Herzen“ mit ein bisschen Sprachwitz garniert. Dieser hellsichtige Aphorismus über „HerzLosigkeiten“ wurde besonders durch den Komponisten gefördert, der jedem Wort seine Klarheit und Deutlichkeit beliess, sehr akkurat – man konnte als Zuschauer fast durchgehend dem Text folgen. Eine Rarität, auch an diesem Abend.

Denn schon beim zweiten Stück, „Schock – ein Hunderennen“, war es damit vorbei (Text: Hosea Ratschiller & Lukas Tagwerker, Musik Akos Banlaky). Im Programmheft zitiert Banlaky Josef Weinheber „O Singen ohne Sinn“. Nun, vielleicht sollte es darauf hinauslaufen. Der Unterschied zur wortbezogenen Musik von Planyavsky konnte nicht größer sein, denn hier verstand man nur Bruchstücke. War es Schock, der aus einer Schachtel herausklettert wie ein Hampelmann, der dann verschwindet, gesucht wird? Das Programmheft knauserte mit dem Text. Das Zitat von Voltaire: „Oh funkelndes Geplänkel junger Leute“ hilft vielleicht weiter: ich war einfach schon zu alt dafür!

Die dritte Operelle, „Schutt“ (Hermes Phettberg / Gilbert Handler), war mehr eine Karfreitagskantate als Oper und erging sich in Betrachtungen über das Los des Menschen (des Menschen Hermes Phettberg nämlich). Besungen wird das Leid des Einsamen in seiner verdreckten Wohnung – im Waschbecken ist Erbrochenes, es ist schon eingetrocknet und verschimmelt u.a.m – in Konfrontation mit dem Gleichnis von den „Talenten“, Evangelium nach Matthäus 25, 14-30. Die überaus passende Musik wälzte sich wie eine träge Gebetsmühle leise im Hintergrund dahin, während sich vier SängerInnen zum Chor- und Sologesang an der Rampe versammelten (sie saßen jeweils auf einem mit Sitzbrett gerandeten „Klosett-Kübel“). Der fünfte kletterte im Würfel hoch und spielte den Evangelien verlesenden Prediger. Phettberg war selbst anwesend, saß in der ersten Reihe: Wenn man sein Erscheinungsbild mit dem verglich, was sich auf der Bühne und im Orchester abspielte, dann wusste man diese Mischung aus ironischer Selbstpersiflage und depressiver Wahrhaftigkeit umso mehr zu schätzen.

Friedericke Mayröcker steuerte die Erinnerungen und Sehnsüchte von Johanna bei, die vom Jenseits aus ihrem geliebten Johann beim Dichten zuschaut („Stretta“). Johanna und Johann kommen sich im Laufe der Handlung immer näher – und Wolfram Wagner hat einen innigen, aber zugleich auch pointierten Schluss komponiert. Aber für meinen Begriff war Johanna zu redselig. (Was mich lehrte, dass sogar Viertelstunden ihre Längen haben können.) Aber nachdem sich Johanna im Jenseits langweilt, warum sollte sich dann nicht auch das Publikum im Diesseits (ein bisschen) langweilen?
Nach „Operelle“ No. 4 gab es eine Pause.

Nach der Pause ging es mit Wolfgang Bauer und Jury Everhartz weiter: „Das gestohlene Herz“. Johann und Johanna wollen als Liebespaar Selbstmord begehen und sich vom Kopf der Sphinx in die Wüste zu Tode stürzen. Später taucht dann noch Napoleon als Herz-Dieb auf etc. Ein „Dramolett“, dass ein Schuss Skurrilität rahmt wie eine Ansichtskarte plus fünf Grußworte. Jury Everhartz versuchte, diese Skurrilität musikalisch mit barocken Stilelementen auszudrücken, lässt Johann und Johanna „Da capo“-mäßig ihr Leid duettieren. Das hat a) sicher seinen Reiz, verzögert b) aber die Wirkung der knappen Formulierungen Bauer’schen Sprachwitzes. Da hätte man auch eine Kurz-Kurz-Oper riskieren können, Länge: atemlose, absurde fünf Minuten. (Und unbedingt mit einem Bild der Sphinx auf der Bühne! – Ich denke, man muss solche Texte wirklich als „bare Münze“ nehmen. Da ist wenig Symbolisches dran, aber viel von einer subtilen Aufsässigkeit, die sich durch die Wahl absurder Genres gleich vorsichtshalber selbst verharmlost. Denn eigentlich ist man ganz froh, da zu sein – und nicht auf der Sphinx.)

Das vorletzte Stück des Abends „Die vertauschten Köpfe“ (Radek Knapp / Christof Dienz) folgte Bauers Spuren ins Absurde, und spielte die Idee durch, wie das wohl wäre, könnte man Köpfe tauschen. Auch hier sei kurz Voltaire zitiert: „Die Köpfe sind wie Geld. Sie liegen auf die Straße. Man braucht sie nur aufzuheben.“ Eine hübsche Idee, die witziger gewesen wäre, hätte man mehr vom Text verstanden.

Die letzte „Operelle“, Johann und Johanna bei der „Produktion“ eines Erben: dreimal müssen sie es versuchen. Kurt Schwertsik hob das amüsante, auch formal gut gebaute Libretto pragmatisch ins Opernhafte. Womit der „Schlaf der Gerechten“ keine Probleme hatte, es unter die Top Drei meiner „Operellen“-Wertung zu bringen: „Schlaf der Gerechten“, „HerzLosZeitLos“ und „Schutt“ teilten sich den ersten Platz.

Die mitwirkenden SängerInnen hinterließen einen sehr guten Eindruck, ebenso das Tiroler Ensemble für neue Musik unter der Leitung von Dorian Keilhack.

Ein dickes Minus gibt es für das Programmheft. Kurzbiographien der Komponisten/Librettisten sowie des ausführenden Teams suchte man vergebens.

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