Wie man die Welt verbessern kann

Ich weiß es nicht.

Wenn ich es wüsste, hätte ich einen anderen Beruf. Dann wäre ich vielleicht Politikerin oder Revolutionsführerin. Oder ich wäre sehr wohl Schriftstellerin, würde aber ganz andere Dinge schreiben – Pamphlete, Zeitungsartikel, Twitter-Nachrichten, klare Handlungsanweisungen – und nicht so umständliche Romane: Dreihundert Seiten, und am Ende scheitern die Figuren auch noch an ihrer Weltverbesserung (wenn sie sich überhaupt daran versuchen). Meine Texte gehen fast immer schlecht aus. Vielleicht fehlt mir die Fantasie für Happy Ends. Oder, und das ist wahrscheinlicher: Ich halte Happy Ends für verdächtig. Wenn der Prinz und die Prinzessin heiraten, endet das Märchen – „happily ever after“. Das ist versöhnlich, aber nicht unbedingt wahrheitsgetreu, wenn man sich die meisten Ehen so anschaut.

Wenn man nicht aus Versöhnlichkeit lügen will und der Welt doch so ratlos gegenübersteht wie ich, kann man keine Lösung anbieten, sondern nur ganz unterschiedliche, sich mitunter auch wiedersprechende Lösungen. Michail Bachtin hat in der Romantheorie den Begriff der „Polyphonie“ geprägt: Der Roman sei ein mehrstimmiges Werk, in dem alle Theorien, Lebensauffassungen und Denkweisen in der Form von Figuren gleichwertig nebeneinanderstehen können. Dabei wird aus der Not der Ratlosigkeit eine Tugend, denn es ist wohl nichts nervtötender als ein Werk, in dem die feste Überzeugung des Autors alles andere überstrahlt. Die Fiktion ist insofern ein gutes Betätigungsfeld für Menschen wie mich, die auf die großen Fragen des Lebens keine klaren Antworten parat haben.

Ich weiß nicht, was die Welt besser macht, aber wenn Sie mir eine Pistole an den Kopf hielten und ich eine Antwort geben müsste, um mein Leben zu retten, würde ich als Literatin wahrscheinlich auf die Literatur zurückgreifen. Auf ziemlich alte Literatur. Auf die Bibel. Glaube, Liebe, Hoffnung heißen dort die Kardinaltugenden.

Glaube – nicht Gottesglaube, nicht Religion. Glaube an die Wissenschaft, an die Menschheit, an sich selbst. Der Glaube daran, dass Handlungen „etwas bringen“, auch wenn man das Ergebnis selbst nicht sehen kann. Der Glaube an einen Sinn, wie auch immer man diesen definiert oder vielleicht auch gar nicht definieren kann. Dinge, die nicht definiert werden können – auch das ist Glaube.

Liebe – nicht Eitelkeitsbefriedigung, nicht Sex. Liebe als Fürsorglichkeit, Mitgefühl, als treibende Kraft, auch außerhalb der eigenen Behaglichkeit Gutes schaffen zu wollen. Liebe natürlich auch als Liebe zu sich selbst, zu den nächsten und sogar zu jenen, die einem persönlich nicht so nahestehen. Liebe als positive Grundhaltung gegenüber der Welt, als Gegenteil von Destruktivität.

Hoffnung – nicht Zweckoptimismus, nicht Kriegsgewinnlertum. Im Aussichtslosen noch ein Licht sehen, die Vergangenheit hinter sich lassen und Neubeginne wagen können. Hoffnung auch als Gegenteil von Angstgetriebenheit.

Im Russischen heißen die drei Kardinaltugenden übrigens Vera (Glaube), Ljubow (Liebe) und Nadjeschda (Hoffnung).

Drei sehr häufige Frauennamen. Ob das ein Hinweis sein kann auf das „goldene Matriachat“?

Ich weiß es nicht.

Irene Diwiak, Sommer 2020