apa/dpa Pressemeldung, Christian Fürst, 30.09.2009 - erschienen unter anderem in:
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"Nachts": Leo Perutz-Roman in neun Opern-Episoden

Wien (dpa) - Neun Stunden Oper muten sich eigentlich nur überzeugte Wagnerianer zu. In Wien unternimmt jetzt das "sirene Operntheater" das Wagnis, ein weitgehend unbekanntes literarisches Werk gleich an neun Abenden über einen Zeitraum von neun Wochen als "Fortsetzungsoper" auf die Bühne zu bringen.

Die neun Episoden von jeweils einer Stunde stammen aus dem 1953 erschienen Roman "Nachts unter der steinernen Brücke" des tschechisch-österreichischen Schriftstellers Leo Perutz (1882-1957), der 14 durch eine historische Rahmenhandlung verbundene Episoden über einen Zeitraum von 27 Jahren schrieb.

Das Besondere an dem neuen Werk: Neun verschiedene, in Österreich lebende Komponisten wurden mit der Vertonung der neun Kurzopern beauftragt, die "sirene"-Mitbegründerin Kristine Tornquist mit dem originellen Namen "Operellen" bedacht hat. Bis zum 18. Juli werden die einzelnen Teile dieser "Fortsetzungsoper", so Co-Produzent Jury Everhartz, im Wochenabstand seit dem 22. Mai hintereinander uraufgeführt und dann jeweils nur einmal wiederholt.

Der nur wenig bekannte Roman von Perutz, eigentlich eine in sich zusammenhängende Sammlung einzelner Novellen, war nie ein wirklicher Erfolg. Sein Verlag lehnte die Veröffentlichung des 1938 nach Palästina geflüchteten Autors jüdischer Abstammung 1951 zunächst mit der Begründung ab, "die deutsche Seele" habe sich "Werken mit jüdischem Geistesgut noch nicht wieder eröffnet". Zwei Jahre später erschien das Werk dann doch unter seinem heutigen Titel.

Die Novellen spielen alle im Prag der Renaissance um 1600. Handelnde Personen sind historische Figuren wie Kaiser Rudolf II., Johannes Kepler, Wallenstein oder der Schöpfer des Golems, der jüdische Rabbi Löw. Verbindende Handlung ist die unmögliche Liebe zwischen dem Habsburger Rudolf II. und der Jüdin Esther und deren Beziehungen zum reichen Mordechai Meisl und zu Rabbi Löw. Eigene Lebenserfahrungen des Autors wie die Judenverfolgung der Nazis und der Tod seiner Frau fließen indirekt in die Handlung ein.

Tornquist wurde durch einen treuen Gast der Opernaufführungen des 1998 zusammen mit dem Komponisten Jury Everhartz gegründeten "sirene Operntheaters" aufmerksam, der ihr eines Abends einen Zettel mit dem Hinweis auf den Text in die Hand drückte. Tornquist, die die Libretti für alle neun "Operellen" schrieb und auch die Regie führt, war sofort überzeugt und machte sich an die Umsetzung des Projekts. "Die Idee war von Anfang an, eine Fortsetzungsoper zu machen", erzählt Everhartz.

Die Suche nach neun Komponisten gestaltete sich für die Macher des von der Stadt Wien und dem Bund geförderten Off-Theaters nicht allzu schwer. Die Voraussetzungen waren für alle gleich: Jede Kammeroper durfte nur etwa eine Stunde lang sein und - schon aus Kostengründen - nicht mehr als acht Musiker und sechs Sänger (darunter ein Counter-Tenor) erfordern. Auch ein ungewöhnlicher Spielort wurde gefunden: "Nachts" wird in der Auslieferungshalle einer ehemaligen Wiener Brotfabrik gespielt - in jeder Hinsicht weit entfernt von den Tempeln des traditionellen Wiener Kulturbetriebs. Warum der Kompositionsauftrag nicht einem Komponisten gegeben wurde? "Wir wollten eine möglichst große Bandbreite", sagt Jury Everhartz.

Herausgekommen sind neun in sich geschlossene Kammeropern der Komponisten Oskar Aichinger, Akos Banlaky, René Clemencic, François-Pierre Descamps, Christof Dienz, Lukas Haselböck, Paul Koutnik, Gernot Schedlberger und Wolfram Wagner, die vom jungen Wiener "ensemble on_line" aufgeführt werden. Das dabei eine sehr facettenreiche, moderat moderne Musik herausgekommen ist, sei "zwangsläufig und beabsichtigt".
Ob und wann die sehens- und hörenswerte "Fortsetzungsoper" wieder aufgeführt wird, können die Macher des "sirene Operntheaters" noch nicht sagen. "Wir haben schon überlegt, sie nächstes Jahr an drei Tagen hintereinander aufzuführen", sagte Kristine Tornquist vor der Uraufführung der zweiten Oper am Freitagabend. Auch an ein Gastspiel in Deutschland werde gedacht: "Für eine Aufführung an einem einzigen Tag ist es allerdings wohl zu viel".

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