Mottingers Meinung, 12.11.2015, Michaela Mottinger

Ein Königsdrama um Macht und Geld

Michail Borissowitsch Chodorkowski, Kreml-Kritiker, Unternehmer mit Wohnsitz in der Schweiz, früherer Oligarch und Ex-Gefangener in einem sibirischen Arbeitslager, und sein Kontrahent Wladimir Putin sind die zentralen Figuren in der Oper „Chodorkowski“ von Librettistin und Regisseurin Kristine Tornquist und Komponist Periklis Liakakis, die das sirene Operntheater am 20. November im Atelierhaus der Akademie der Bildenden Künste uraufführt. Im Werk geht es nicht nur um das Königsdrama zwischen Chodorkowski und Putin, sondern auch um Aufdeckung der komplexen zeithistorischen Hintergründe zwischen 1989 bis 2013.

Die sich wandelnden Beziehungen zwischen Wirtschaft und Staat verändern im Lauf der Zeit auch die Beziehung zwischen den Protagonisten, die einander nicht unähnlich sind – zwei junge, ehrgeizige Männer mit großen Plänen, die nichts zu verlieren haben. Gesellschaftliche Auf- und Umbrüche verflechten sich mit finanzpolitischen Fehlern und machtpolitischen Intrigen in einem Treibhaus, in dem die Aufsteiger gut gedeihen. Doch als die Kontrahenten oben angekommen sind, zeigen sich die charakterlichen Unterschiede. Während der eine sein Revier sichert, denkt der andere weiter und riskiert alles. Dass Chodorkowski im Dezember 2013 anlässlich einer PR-Offensive in Sotschi aus seiner Haft überraschend freigelassen wurde, thematisiert die Oper bewusst nicht. Als offenes Ende des Librettos stehen die Hoffnung und das Versprechen, das Chodorkowski im Gefängnis gegeben hat. Für ein „Offenes Russland“, so der Name seiner mittlerweile gegründeten Bewegung. Spielball der großen Kräfte ist wie stets das Volk. Das hier erst als Buffopaar für lakonischen Witz sorgt, doch zuletzt in die Tragödie stürzt – denn im Gegensatz zu den Großen, die fallen und steigen und dabei doch nie ihre Bedeutung verlieren, leiden die von der Politik nur in Wahlkampfreden bemerkten „kleinen Leute“ ohne Medientamtam.

Michail Chodorkowski war einer der Männer, die nach 1989 in arrangierten Versteigerungen die maroden sowjetischen Staatsunternehmen um ein Spottgeld zugeschanzt bekamen, privatisierten und sanierten. Zwischen diesen Oligarchen und der Politik gab es Stillhalteabkommen, dass die zum Teil im rechtsfreien Raum ablaufenden Geschäfte solange unbehelligt blieben, solange sie sich weder in die Politik einmischten noch sich der Einmischung der Politik widersetzten. „Hier herrschte in den Übergangszeiten nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion das Gesetz des Dschungels. Keiner wusste genau, welche Vorschriften noch galten – ich nutzte das aus“, erzählte Chodorkowski 2002 und bezeichnete sich als „Räuberbaron“. Der Milliardär verstieß in der ersten Legislaturperiode Putins gegen beide Regeln. Einerseits wollte er die Ölfirma Yukos nach westlichem Vorbild transparent machen und in eine Aktiengesellschaft umwandeln, was den Einfluss der Politik auf den Export der Bodenschätze unmöglich gemacht hätte. Andererseits wollte er, in seiner Entwicklung von der zunehmend regulierungsfreudigen Regierung und der korrupten Beamtenschaft behindert, in die Politik einsteigen. Er unterstützte intensiv mehrere, auch linke Parteien, um die demokratische Landschaft zu beleben, förderte kritische Medien, kritisierte vor laufenden Kameras in harschen Worten die Korruption der Einheitspartei Einiges Russland. Damit forderte er Putin persönlich heraus. Chodorkowski ignorierte stolz alle Warnungen. 2003 wurde er verhaftet und unter offensichtlich politischer Direktive verurteilt und in einem sibirischen Arbeitslager inhaftiert.

Ganz unabhängig von Sympathien, die man dem Oligarchen gegenüber hegen kann, und der Ablehnung, die man einer Einparteienautokratie wie Russland entgegenbringt, stehen hier nicht nur zwei mächtige Männer einander in persönlicher Abneigung gegenüber, sondern auch die zwei Machtprinzipien, die sie vertreten – die Macht der Politik und die Macht des Geldes. Putin strebt im Erbe des Sowjetregimes absolute politische Kontrolle an, die reine Politik, die kaum von unabhängiger Öffentlichkeit, Medien, Justiz oder durch Wahlen kontrolliert und korrigiert werden kann. Jelzins Politik war national und Putins Interesse ist konservativ – waren doch die Staatsbetriebe deshalb unterm Wert an Russen wie Chodorkowski verschenkt worden, damit sie unter russischer Kontrolle blieben.

Dem hielt Chodorkowski die Macht des Geldes entgegen. Der neoliberale Kapitalismus, den er und seine Partner im Eiltempo aus dem Boden stampften, brauchte andere Strukturen. Er sucht Internationalität, muss nach internationalem Recht agieren, muss sich aber auch um sein Image sorgen. Selbst wenn Chodorkowski nicht der Idealist gewesen ist, für den man ihn inzwischen so gerne halten will, war ihm immer an einer modernen russischen Gesellschaft gelegen, in der die Politik auf die Wirtschaft keinen direkteren Einfluss ausüben kann als über Gesetz und Steuererhebungen. Diese russischen Verhältnisse stehen im Kontrast zur Situation im Westen, wo die Konzerne und Banken längst die Politik vor sich herjagen. Als etwa George W. Bush in einer Brandrede Putin mahnte, Chodorkowski einen fairen Prozess zu machen und ihn freizugeben, sprach er nicht nur als oberster Sheriff westlicher Ideale, sondern er sprach auch im Namen der amerikanischen Ölfirmen, mit denen Chodorkowski verhandelt hatte und denen er selbst verbunden war. Im Interview mit der NZZ 2014 sagte Chodorkowski daher: „Lasst uns den ,amerikanischen‘ Weg beschreiten. In den USA gibt es faktisch keine Parteien, das sind vielmehr Kampagnen-Organisationen, die für bestimmte Wahlen existieren“.

Die Verurteilung Chodorkowskis änderte das Klima in Russland. Einige Oligarchen setzten sich daraufhin mit ihrem obszönen Reichtum ins Ausland ab, andere arrangierten sich mit Putin. Der russische Künstler Victor Petrik hat anlässlich Putins Geburtstag ein Bild des russischen Präsidenten in Edelstein geschaffen. Petrik sagte über die Gemme: „Millionen von Jahren werden vergehen, alles wird zerstört werden, aber das Porträt des russischen Präsidenten in Saphir wird auf ewig im Sonnenlicht glänzen.“ Die russische Justiz erwägt neuerlich Ermittlungen gegen Chodorkowski, diesmal wegen Mordes. Es lägen aktuelle Beweismittel im Fall des 1998 ermordeten Bürgermeisters im sibirischen Neftejugansk, Wladimir Petuchow, vor. Chodorkowski soll als Zeuge in Moskau befragt werden. Dass er im Exil lebt, sei „kein Hindernis“.

Es singen u. a. Clemens Kölbl (Michail Borissowitsch Chodorkowski), Ingrid Habermann (Marina Filippowna Chodorkowskaja) und Alexander Mayr (Wladimir Wladimirowitsch Putin), es spielt Das Rote Orchester.

Andere Kritiken