Wiener Zeitung, 24.11.2015, Lena Dražić (auch erschienen in Österreichische Musikzeitschrift 01/2016)

Von der Politik in den Boulevard. Das sirene Operntheater zeigt die Politsatire Chodorkowski

Die Realpolitik hat das Musiktheater erreicht: Nach "Whatever works" ist "Chodorkowski" die zweite Politsatire, die innerhalb weniger Wochen Wiens Opernbühnen ereilt. Ging es dort um fiktive Charaktere, so setzt die Produktion des sirene Operntheaters auf Tatsachen: Der Oligarch Chodorkowski (Clemens Kölbl) wird als Gegenfigur zum KGB-Mann Putin in Szene gesetzt, wobei der Werdegang des Politikers im Aufstieg und Fall des Oligarchen einen narrativen Kontrapunkt erhält.

Für die Schilderung der postsowjetischen Goldgräberstimmung macht sich die Oper die Form der Schmierenkomödie zu eigen. Die Ausläufer des realen Sozialismus finden ihre Entsprechung im Gestus des Absurden. Zugespitzt erscheinen die beiden Antagonisten als prototypische Verkörperungen gegensätzlicher Machtprinzipien: hier Geld und Freiheit, dort Sicherheit und Staat. Die Überhöhung des Autokraten Putin zum Opernhelden kann vielleicht nur durch den Filter des Komischen gelingen: Ein Kunstwerk, das sich selbst nicht ganz ernst nimmt, braucht keine Scheu zu haben vor den Niederungen real existierender Politkriminalität.

In der Säulenhalle des Semperdepots gestaltet Librettistin und Regisseurin Kristine Tornquist auf der Bühne von Andrea Költringer Stationen, die jeweils für kurze Zeit das Zentrum der Handlung bilden. Im zweiten Teil, der von Chodorkowskis Sturz und Gefangenschaft berichtet, kommt der Erzählung allerdings ihre Leichtigkeit abhanden.

Ein Eindruck, der verstärkt wird durch die Musiksprache von Periklis Liakakis: Dass unsympathische Aufsteigertypen wie Putin (Alexander Mayr) keinen Belcanto produzieren, sondern schreien, bellen oder knödeln, mag hingehen. Während das "Rote Orchester" unter der Leitung des Komponisten eine vom Geschehen relativ unabhängige, ruhelose Klangkulisse zeichnet, vollziehen sich die wortreichen Dialoge in einem gleichförmigen Rezitationsstil, der sich zunehmend mühsam voranschleppt. Ein guter Politkrimi in gut gemeinter Vertonung.

Andere Kritiken