Dolomiten, 23. Mai 1998, Margret Oberhofer

Ein "herzzerreissendes" Spektakel

Na, da gab es was zu sehen und zu hören: Von rechts wurde der kranke König von England in seinem Bett hereingeschoben, von links zerrte man die Wirtin an den Haaren herbei, von vorn kamen die mit Fahrradhelm und Baseballshirt bekleideten Soldaten, im Nacken zerstückelte der Teufel höchstpersönlich die Sprache und über all dem ruhte der sanfte Blick von Christus!

Die Universitätskirche im ersten Wiener Gemeindebezirk, die nach jahrelanger Restaurierung seit kurzem wieder im alten Glanz erstrahlt, wurde Schauplatz eines tragischen Mysterienspiels. Der Titel, "Hierlanda. Durch falschheit zu feir verdamte unschuld", lässt vermuten, welche Proben die Hauptfigur bestehen muss. Ort und Zeitpunkt des Grauens sind das nordfranzösische Rennes des 16. Jahrhunderts. Die ewig gütig dreinblickende Fürstin Hirlanda (überzeugend dargestellt von Ute Springer) wird zweimal Opfer der hinterhältigen Verleumdungen ihres köstlich arroganten Schwagers Prinz Gerald (Harald Posch). Dieser will unbedingt an die Macht und unterstellt der keuschen Fürstin zweimal Ehebruch, Ihr Mann, der Fürst Artus (Lutz Blochberger), der wohl daran glaubt, dass ein Mann nur die Wahrheit und nichts als die Wahrheit sprechen kann, vertraut ihm.

Das erste Mal verlässt Hirlanda freiwillig Heim und Herd, wird aber Jahre später vom Hofherrn Olifa (Edwin Hirschmann oder war es doch Woody Allen?) zurückgeholt. Dieser sorgt, durch das umgehängte Fernrohr symbolisiert, für den nötigen Über- und Durchblick am Hof. Hirlanda kehrt zurück, die Jahre vergehen, der Fürstin wird im wahrsten Sinne des Wortes ein Kind umgebunden und schliesslich entbunden. Auch dieses, so der Bösewicht Gerald, soll die Frucht eines Seitensprunges sein. Prinz Artus, wohl auch enttäuscht darüber, dass es kein Stammhalter, sondern "nur" ein Mädchen ist, glaubt den Hetzereien seines Bruders und verurteilt Hirlanda zum Feuertod. Allein ein edler Held könnte sie im Zweikampf retten. Nachdem sich zuerst niemand dem "beriemten fechter" Filander (John F. Kutil) stellt, taucht dann doch ein Jüngling auf und besiegt diesen. Der tapfere Unbekannte entpuppt sich als der totgeglaubte erste Sohn und somit Stammhalter der Fürstenfamilie. Artus gehen nach zweieinhalb Stunden endlich die Augen auf, er erkennt die Perle an seiner Seite, die Familie ist wieder beisammen, und eigentlich könnte schon die glückliche Abschiedsmelodie angestimmt werden.

Doch halt! Wir sind ja im Barock, und wer von der Moral bis jetzt nichts mitbekommen hat, ist entweder ein Ignorant oder ein begnadeter Schläfer. Er hat am Ende nochmals die Gelegenheit, eine ordentliche Portion abzubekommen. Die Eltern verzichten auf die Reichtümer im Diesseits, nehmen das Kreuz auf sich und spazieren in den Himmel.

Die vielleicht für unsere Zeit schwer verdauliche literarische Kost wird dank vieler Kleinigkeiten und Effekte der Regisseurin und Bühnenbildnerin Kristine Tornquist zum leichten Genuss. Ein Olifa, der zum Beispiel suchend durch die Kirche radelt, die in knappes Rot gehüllten Untertanen von Luzifer (Herbert Adamec), die wie Chearleaders ihrem Chef huldigen, all das sind Kleinigkeiten, die dem Publikum den Abend versüssen. Die Musik von Jury Everhartz tut ihr übriges, mit der Mischung aus Alt und Neu: Der hoffnungsvolle Blick gen Himmel von Hirlanda wird herzzerreissend von den Streichern untermalt, das teuflische Kämpfen um die Seelen mit lauten Saxophonklängen.

Das Stück wurde 1791 vom Vinschgauer Schreiber Johannes Udalricus von Federspill verfasst und vor rund zweihundert Jahren in der Laaser Kirche aufgeführt. Damals, schreibt die Regisseurin wehmütig im Programmheft, konnte man noch die Zuschauer, die ein solches Spektakel selten zu sehen bekamen, in Ekstase versetzen. Die Zuschauer von heute hingegen sind ungeduldiger, wollen mehr Informationen in maximal zwei Stunden, abendessenfreundliche Beginnzeiten, geheizte Räumlichkeiten, bequeme Sessel, eine Garderobe und ein Buffet. Ein Stück, das im Orginal allein fünf Stunden Lesezeit beansprucht und von zahlreichen Nebenhandlungen unterbrochen wird, einem solchen kritischen und theaterver- bzw. -gewöhnten Publikum in einer neuen Umgebung schmackhaft zu machen, ist aber wirklich schwierig. Gerade darin liegt aber die Chance für den Erfolg. Und das Ensemble hat sie genützt.

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