Kampf gegen den Tod

Die Geschichte von Gilgamesch ist uns heute in zwei weit auseinanderliegenden Sichtweisen zugänglich.

Die eine - alles Spezifische abschälende - Betrachtungsweise erzählt den Plot eines universellen Ich, das inmitten seiner stolzen und kräftigen Jugend mit dem Tod konfrontiert wird und in eine Krise stürzt, die ernst macht.

Die andere - historisch 5000 Jahre zurückgrabende - Sicht wiederbelebt eine sehr ferne Kultur mit ihren uns nur zu erahnenden Göttern, Sprachen und Riten.

In ihrer Bearbeitung des Stoffes versuchen der Komponist René Clemencic und die Autorin und Regisseurin Kristine Tornquist, beide Lesarten zu verbinden, und einerseits der ungeheuren kulturellen Distanz als auch der überraschenden Unmittelbarkeit der Erzählung gerecht zu werden.

Zwei grosse Themen, die im Epos verbunden und verhandelt werden, machen Gilgamesch zu einem ewig aktuellen, universell gültigen Stoff.

Einerseits wird der königliche Held mit seiner eigenen Sterblichkeit konfrontiert und muss einen Weg finden, angesichts des Todes dennoch sein verantwortungsvolles Leben zu führen. Andererseits wird die Position des Menschen zwischen seinem Ursprung, der Natur, und seiner stolzen Zielrichtung, der Göttlichkeit, bestimmt.

Die Menschwerdung trennt den Tiermenschen (und heimlichen Helden des Stückes) Enkidu von seiner Natur - an seinem Totenbett beklagt er, den Frieden des animalischen Seins verloren zu haben. Gilgamesch hingegen, der ungestüme Selbstverwirklicher und Übermensch, will seine menschliche Sterblichkeit nicht akzeptieren. Er will aufsteigen und ein Gott werden, um unsterblich zu sein.

Der Mensch ist weder Tier noch Gott. Er ist - so beschreibt Sîn-leqe-unnīnī, der Autor der akkadischen Gilgamesch-Fassung, seinen Helden - zu einem Drittel Erde, zu zwei Dritteln Gott. Die Göttlichkeit, das lernt Gilgamesch auf seinem Weg durch die Unterwelt, erreicht das Tier Mensch durch die Kultur und die Erinnerung der Nachwelt, die ihn weiterleben lässt, die ihn unsterblich macht.

Insofern sind wir Nachgeborenen, 5000 Jahre und einen Kontinent entfernt, jene Götter, an die sich diese Geschichte richtet. Unsere Erinnerung und Weitererzählung des Epos ist Gilgameschs Unsterblichkeit.