Es gilt das Gesetz des Dschungels

Christof Dienz im Gespräch mit Christian Heindl

CH: Wann hast du den Auftrag zu Soma erhalten und in welchem Zeitraum entstand die Partitur?

CD: Das Libretto habe ich im Sommer 2015 erhalten, dann habe ich sinniert und von Februar bis Juli 2016 entstand die Partitur.

CH: Was hat dich besonders an diesem Stoff fasziniert?

CD: Besonders hat mich interessiert, dass unser Gesundheitswesen, vor allem in Krankenhäusern, von knallhartem Karrieredenken und gnadenlosem Verfolgen von Eigeninteressen geprägt ist.

CH: Das Thema von Soma ist der unbarmherzige Krankenhausalltag bis hin zur Gefahr der Verwechslung von Fällen. Ist in der Oper auch ein aufklärender Ansatz enthalten?

CD: Das Grundthema von Soma ist der brutale Egoismus der in einer Institution der Hilfeleistung und des Lebensrettens vorherrscht. Das habe ich versucht deutlich zu machen, aufklärerisch würde ich es aber nicht nennen.

CH: Wie realistisch oder wie weit hergeholt siehst du die Story deiner Oper in Vergleich zu einer aktuellen Situation?

CD: Ich habe in meinem Bekanntenkreis einen Klinikarzt, der mir die Situation im Krankenhaus in etwa so bestätigt hat wie wir sie in „Soma“ zeigen. Viele der Klinikbelegschaft ertragen diesen täglichen Druck und die Missgunst der Kollegen nur mit Alkohol und Drogen. So sind die Stützen unseres Gesundheitswesens oft selbst Patienten.

CH:Wie gestaltete sich die dramaturgische Zusammenarbeit mit der Librettistin der drei Hospital-Opern, Kristine Tornquist – Kalter Krieg oder New Deal?

CD: Das ist jetzt meine dritte Zusammenarbeit mit Kristine Tornquist. Ich bekomme das Libretto und entscheide, ob ich was damit anfangen kann. Bei Fragen oder Änderungsvorschlägen meinerseits, die sich mir während des Komponierens auftun, halte ich Rücksprache, und bis jetzt haben wir uns immer noch geeinigt und bestens verstanden.

CH: Hast du den Eindruck, dass die Erfahrungen, die du aus deinen früheren Bühnenmusiken gesammelt hast, bei der nunmehrigen Arbeit hilfreich waren?

CD: Je länger ich komponiere, umso mehr versuche ich zu vereinfachen und klarere Strukturen zu schaffen. Ich hoffe, das bestätigen mir die Interpreten.

CH:Vermag ein solcher Stoff heute das Publikum zu schockieren, ist ein solcher Effekt allenfalls sogar gewünscht?

CD: Um Schockieren geht es sicher nicht, das wäre als Motivation etwas langweilig. Aber die Szenen in Soma sind zum Teil schon brutal oder sehr direkt, manchmal vielleicht sehr deutlich. Das könnte man dann und wann vielleicht satirisch interpretieren, andererseits gibt es vermeintlich überspitzte Momente ja auch im richtigen Leben.

CH: Unterstützt deine Musik die schockierende Seite oder gibt es darin eher eine gegensätzliche, „versöhnliche“ Komponente?

CD: Ausgangspunkt meines musikalischen Ansatzes ist die akustische Atmosphäre eines Krankenhauses: der Elektrosmog, das Surren der Neonröhren... ganz besonders haben es mir die MRT-Röhre und die Sounds während einer MRT-Untersuchung angetan. Jeder, der schon mal in so einer Röhre war, weiß, was ich meine – irrwitzige elektromagnetische Sounds wie härtester Techno aus einem Underground-Club im Ostberlin der 1990er-Jahre. Das könnte man ohne Gehörschutz gar nicht ertragen. Es sind aber total interessante, obertonreiche Klänge, die mich unheimlich inspiriert haben. Ich wollte gar nicht mehr aus der Röhre herauskommen.

CH: Erwartet uns eine illustrierende Musik oder siehst du deine Arbeit auf einer abstrakten Ebene?

CD: Ich habe versucht, aus den realen Soundscapes eines Krankenhauses die Keimzellen für meine Musik herauszufiltern und daraus dann in sich logische Musik zu entwickeln. Unabhängig davon spielt accelerando und ritardando eine große Rolle – warum, weiß ich nicht. Auch habe ich versucht, jedem Charakter eine bestimmte Klangfarbe und ein musikalisches Umfeld zuzuordnen. Klanglich habe ich harte, klar strukturierte Klänge wie z. B. einem Clavesschlag ausfransende, unreine Klänge wie z. B. Spaltklänge in den Holzbläsern oder am Kontrabass gegenübergestellt. Die glatten, knalligen, abgeschnittenen Sounds stehen für das aalglatte, rücksichtslose Karrierebewusstsein, die unreinen, fahrigen Klänge für die Unsicherheit und Verletztheit mit der alle im Krankenhaus vorder- oder hintergründig konfrontiert sind.

CH: Auch für das Libretto, aber speziell für die Musik gesprochen: Ist der Ansatz todernst oder gibt es Raum für Ironie, eventuell sogar Humor?

CD: Es gibt eine humorvolle Ebene. Ich habe aber versucht, nicht zu direkt auf lustige Stellen im Libretto einzugehen. Manchmal arbeite ich sogar bewusst dagegen.

CH: Gibt es so etwas wie eine „Moral von der Geschichte“, ein allgemeingültiges Fazit, das über das Thema im engeren Sinn hinausgeht?

CD: Moral ist etwas zutiefst Privates, da traue ich mir nicht zu, irgendeine vorzugeben. Man könnte vielleicht zum Fazit kommen, dass überall wo Menschen zusammen leben oder arbeiten das Gesetz des Stärkeren, also das Gesetz des Dschungels gilt, kaschiert durch gesellschaftlich vereinbarte Benimmregeln und Heuchelei. Im entscheidenden Moment denkt aber jeder zuerst an sich selbst, ob das richtig oder falsch ist, weiß ich nicht.

Christof Dienz