Der Kommissar

Dramaturgie

Ausgangssituation ist ein klassischer Kriminalfall. Es gibt einen Mord an einem Kind und vier Verdächtige, die sich gegenseitig belasten. Dem gegenüber stehen ein Kommissar mit gutem Ruf und einer besonderen Methode, begleitet von zwei eigenartigen Kriminalbeamten. Doch in der Auflösung erfährt die Erwartung des Kriminalrezipienten eine Überraschung. Denn die Arbeit führt den Detektiv gefährlich nah an das Verbrechen und die Abgründe des kriminellen Elements heran.

Um das Verbrechen zu begreifen und aufzuspüren, vertieft sich der Kommissar in das Wesen des Verbrechens, in die Psyche der möglichen Täter, in die Tat selbst, doch liegt das Verständnis gefährlich nahe an der Versuchung und der Kommissar gerät an die Grenze zwischen Verstehen und Identifikation - wie viel, fragen sich seine Beamten, kann man also von einem Gefühl oder einem Antrieb wissen, ohne es zu fühlen und selbst davon angetrieben zu werden. Die Psyche ist eine Waffenkammer, in der man nicht ungestraft wühlt. Der Kommissar tappt in die Falle.

Die Figuren

sind keine komplexen unabhängigen Charaktere, sondern auf ihre Funktion in der Katastrope Mord reduziert und existieren in drei Aggregatzuständen - gesungen, gesprochen, stumm.

Die Opfer (Anna und ihr Kind) und die Täter (Hans Z., Hans K., Hans P., Hansi P.), sind gleichermaßen in ihre Gefühle wie in ihre Individualität verstrickt, in der bereits der Konflikt mit anderen Individuen vorgezeichnet ist. Ihr Anteil am Verbrechen ist ihre Existenz, ihre unveränderliche (in diesen Verhören auf einen Punkt fixierte) eindeutige Personalität. Das Verbrechen und seine Akteure bewegen sich im Feld der Emotion, denn die Existenz, der Wille, das Glück des einzelnen ist betroffen.

Verstehen, also tiefer eintauchen als in abstraktes Wissen, will der Kommissar (Hans M.). Wie ein Schauspieler spielt und fühlt er sich in die Psyche der Verdächtigen ein. Die langsame Veränderung, das perverse Verständnis für das Verbrechen, wächst nachvollziehbar mit jedem Verhör. Das Verständnis, das darauf beruht, sich in etwas hineinzuversetzen, wirkt wie eine Falle. Er bleibt so lange stumm und pantomimisch, bis er das kriminelle Element in sich aufgesogen und "begriffen" hat. Damit tritt er in den Kreis der Beteiligten, wird selbst Täter (und Opfer), wird musikalische Figur.

Katalysator der Handlung sind die zwei Sprechrollen, die "stooges" Franz und Franz, die dem stummen Kommissar ihre Stimmen leihen und zugleich über ihn hinauswachsen. Diskrete Figuren, ein seltsames Duo, immer einig, einander wie Zwillinge ähnlich. Ihr Anteil ist sachliche Neugier: sie wollen wissen, aber nicht verstehen. Sie folgen dem Pfad emotionslos, zitieren den Kommissar, als führte einer Selbstgespräche... und führen die Verhöre, als sammelten sie abstrakte metaphysische Erkenntnisse. Sie haben alles im Blick, große Geduld, die Vorgänge sind ihre Pflicht, und die Pflicht Notwendigkeit wie Atmen.

Damit sind sie aufklärerische Figuren, die in einer Zeit der Psychologisierung und des Pessimismus gleichzeitig veraltet wie avantgardistisch wirken müssen. Sie nähern sich dem Verständnis nicht von innen wie der Kommissar, der sich mittels Nachahmung Eintritt in andere verschaffen will, sondern aus weiter Distanz.

Puppen

Parallel zur "Großen Handlung" läuft begleitend die Handlung auf der Puppenbühne und schafft zur schweren, pessimistischen Situation einen humoresken, optimistischen Gegenpol: den Darstellern entsprechende Figuren (Kind, 4 Widersacher, der Kommissar) deuten das Geschehen anders: Das Kind lebt, ist mit allen Wassern gewaschen, und so gelingt ihm, die Bedrohungen durch die Erwachsenen immer zu durchtauchen, alle Anschläge und Gefahren zu überleben. Es ist Überlebenskünstler wie der klassische Kasperl. Ihm zur Seite steht sein Freund, der Kommissar, als freundliches und schlagkräftiges Krokodil. Zum Schluß jedoch, parallel zum Mord findet auch auf der Puppenbühne ein Mord statt.

Die Handlung auf der Puppenbühne begleitet die "Großen" Handlung", ohne ihr allzu streng verpflichtet zu sein.

Das tote Kind, das mit seiner Mutter im Wartesaal des Kommissariats auf den Ausgang der Ermittlungen wartet, erweckt mit seinem kindlichen Blick die Puppenbühne zum Leben. Sie ist nicht ununterbrochen im Einsatz, sondern vor allem dann, wenn die Verdächtigen ihre vom Eigeninteresse verzerrte Version der Ereignisse erzählen. Für keine andere der Figuren als das Kind sichtbar, scheint die Puppenbühne etwas wie das Paradies zu sein: eine Welt, in der es Unschuld gibt und in der sie sich verteidigen kann.

Kristine Tornquist