26.09.2018, European Cultural News, Michaela Preiner

Jeanne und Gilles in Wien

Die neue Produktion des sirene Operntheaters „Jeanne und Gilles“ überzeugte in allen Punkten.

Ihre Geschichte ist weit über Frankreich hinaus bekannt. Über Johanna von Orléans, von Gott berufene Kriegsanführerin gegen die Engländer und Bourbonen, die aus Staatsräson auf dem Scheiterhaufen landete, gibt es unzählige Erzählungen, Bücher, dramatisierte Stoffe, Opern und sogar ein Oratorium.

Erst im Vorjahr wurde ihre Geschichte unter dem Titel „Johanna. Eine Passion“ am TAG aufgeführt.

Gilles de Rais hingegen hat es zu weniger Berühmtheit gebracht. Er war jener adelige, junge Feldherr, der sich im Krieg in Jeanne verliebte und nach ihrem Tod, selbst traumatisiert durch die Kriegswirren und ihren Tod am Scheiterhaufen, zum Mörder wurde.

Kristine Tornquist, Mitbegründerin des sirene Operntheaters, nahm sich des Stoffes von Jeanne d`Arc in erweiterter Form an und beleuchtete in ihrem LibrettoJeanne und Gilles“ ihre Beziehung zu Gilles de Rais und sein Leben.

François-Pierre Descamps vertonte den Text und leitete selbst das 14-köpfige Instrumentalensemble bestehend aus Streichern, Schlagwerk und Gerald Grün an der Trompete.

Musikalisch charakteristisch für das Stück ist ein Hin- und Herschwingen zwischen tonalen und atonalen Sequenzen, sowie eine stark illustrierende Unterstützung des Textes. In ihr wurden die Spannungen von politischen Verhandlungen durch nervös klingende Streicher unter anderen genauso hörbar wie die Peinigung von Jeanne, belgeitet von dumpfen Percussionsklängen.

Die Trompete wurde nicht nur zur Schlachtenbegleitung eingesetzt, sondern attributierte Jeanne selbst über weite Strecken, bis hin zu einem wundervollen Duett zwischen dem Instrument und ihrer Stimme. Gilles' Gesang hingegen wurde von tiefen Bässen begleitet, was der langsamen Verdunkelung seines Seelenzustandes gut entsprach.

Die Location – ein alter Ball- und Vergnügungssaal aus dem 19. Jahrhundert mit historisierenden Elementen in der Gablergasse in Hernals - erwies sich als ideal. Der langgestreckte Raum wartet mit einer extrem guten Akustik auf, sodass auch das Publikum in den hinteren Reihen – dankenswerter Weise aufsteigend angebracht – sehr gut hören und sehen kann.

Tornquist, neben dem Libretto auch für die Regie und mit Markus Boxler für das Bühnenbild verantwortlich, schuf nicht nur einen geschichtlichen Kurz-Abriss der Zeit Jeanne d`Arcs. Vielmehr vermittelt ihr Text tiefe Einblicke in die Psychologie des Krieges und die daraus resultierenden, seelischen Verstümmelungen und Bauernopfer.

In ihrer Fassung ist Jeanne eine unbefleckte Kriegstreiberin, die Tötungen und Verbrechen gegen den Feind mit Gottes Wille argumentiert. Mit den Worten „Es gibt keinen Kompromiss in Gottes Befehl“ tritt sie gegen jene königlichen Anweisungen auf, die einen Waffenstillstand mit den Engländern erreichen sollen. Gilles, den Tornquist wesentlich zarter besaitet präsentiert, kippt erst dann in Psychosen, als er mit Jeannes Tod auf dem Scheiterhaufen und seinen persönlich erlebten Traumata im Krieg alleine nicht mehr fertig wird.

„An manchen Abenden sehe ich mich an mit Staunen, dass ich noch unversehrt Haut und mein Leben trage“,

lässt Tornquist ihn singen, wobei schon die Abspaltung seines Ichs fühlbar wird. Der zu Hilfe gerufene Arzt und ein Quacksalber verstärken gemeinsam mit seinem Leibdiener seine Krankheit und fördern letztlich den Tod eines jungen Mädchens durch Gilles Hand.

Mit Lisa Rombach und Paul Schweinester erfolgte eine Idealbesetzung der Titelrollen. Kräftig und klar, scheinbar mühelos kam Rombachs Sopran zum Einsatz und bot Schweinester hellem Tenor einen schönen Gegenpart. Nicht minder stimmlich und schauspielerisch gut disponiert waren Bernd Lambauer, Andreas Jankowitsch und Johann Leutgeb, zum Teil in Doppelrollen. Gratulation an dieser Stelle für das punktgenaue Casting.

Die von vier „Maschinisten“ sichtbar verschobenen und von Hanno Frangenberg bemalten Prospekte erinnern an Landschaften von Watteau oder Fragonard sowie barocken Schlachtenbildern. Und auch mit den mittelalterlichen Kostümanleihen von Markus Kuscher blieb das Geschehen geschichtlich im Frankreich zwischen dem 13. und 17. Jahrhundert verortet.

Jeanne selbst wurde über ihr zeitgeistiges Outfit für die Schlachtenszene eine Jacke und ein Wams übergezogen. Im Switchen zwischen den Moden über Jahrhunderte hingweg lieferte die Regisseurin einen kleinen Verweis, dass religiöse Verblendung auch heute noch anzutreffen ist und ein Phänomen darstellt, das keiner bestimmten Periode zugeordnet werden kann. Vielmehr ist es durch Zeit und Raum überall auf der Welt anzutreffen.

Das Einbinden der Bühnenarbeiter, die sichtbar den Bühnenbildwechsel vornahmen, aber auch als Ankleider oder Requisiteure und sogar als Statisten agierten, ist ganz unserem Zeitgeist verpflichtet, die Mechanismen am Theater aufzuzeigen.

Trotz sparsamen Einsatzes funktionierte dies bestens und verdeutlichte, dass Tornquist alle Register des zeitgenössischen Musiktheaters ziehen kann. Gerade das Hin- und Herkippen zwischen dem historischen Ausgangsmaterial und der aktuellen Opernproduktion verlieh dem Abend eine angenehme Spannung, aber auch jede Menge augenzwinkernde Selbstreflexions-Momente.

Der Abend zeichnete sich durch eine selten gelungene Mischung all jener Komponenten aus, die eine herausragende Produktion ausmachen: Eine gelungene Herausarbeitung der Charaktere, ein Libretto, welches die Figuren höchst authentisch erscheinen lässt, eine klare Regieführung, in der besonderes Augenmerk auch auf die schauspielerischen Fähigkeiten der Sängerin und der Sänger gelegt wurde und letztlich eine Musik, die sowohl Grauen und Krieg als auch Gottesentrückung und Liebesgefühle veranschaulichen konnte.

Der lange und enthusiastische Applaus des Publikums war mehr als gerechtfertigt. „Jeanne und Gilles“ ist eine von zwei Herbst-Produktionen des sirene Operntheaters. Übertitelt sind diese mit „Katastrophen. Feuer und Wasser“.

Im Rahmen von Wien Modern wird die Kammeroper nach B. Traven von Oskar AichingerDas Totenschiff“ zu sehen und zu hören sein.

Andere Kritiken