Gilles de Rais

Wenn ich mein Herz nicht der Kirche zugewandt hätte, der Teufel hätte sonst seit
langem meinen Leib und meine Seele zerstört.

Schlussansprache von Gilles de Rais 1440 im Prozess in Nantes

Auch von Gilles de Rais gibt es kein zeitgenössisches Portrait. Das bekannteste Bildnis stammt aus dem 19. Jahrhundert von Éloi Firmin Féron und zeigt eine dunkle grimmige Gestalt. Doch in zeitgenössischen Texten wird er als strahlende Erscheinung mit dem Gesicht eines Engels beschrieben.

Gilles de Rais, Vorbild für die schaurige Märchenfigur des Blaubart, war ein enger Kampfgefährte Jeannes. Als einer der reichsten französischen Erben eines grossen Adelshauses und mit vielen Talenten gesegnet, wurde er nach dem Sieg von Orléans - der die Zäsur im Hundertjährigen Krieg darstellte und das Kriegsglück zugunsten der Franzosen wendete - mit 26 Jahren Marschall von Frankreich. In dem Jahr, das er an Jeannes Seite verbrachte (1428/29), war er ihr Kampfgefährte, ihr Beschützer und empfand sich als ihr enger Freund.

Gilles de Rais hat die Pucelle wohl nie berührt - das war das Gebot der Jungfrau - aber er hat sie geliebt. Sicher hat er ihre magischen Kräfte verehrt, die sie aus der Illumination, aus dem Übersinnlichen zog, aus den Stimmen, die zu ihr sprachen und sie mit dieser unbegreiflichen Sicherheit in die Siegesräusche führte. Diese Sicherheit fand er, der trotz seines Reichtums und seiner Talente als Frühverwaister, kaum Erzogener haltlos, orientierungslos und ein schwacher Mensch war.

Heute wird er vor allem in Satanistenkreisen mit wohligem Grusel verehrt. Nach Jeannes Verurteilung durch die Kirche und ihrem Feuertod, den er ohnmächtig miterleben musste, zog er sich aus dem Kampf und der Gesellschaft auf sein Schloss zurück und verschwendete sein riesiges Vermögen unter anderem mit der Produktion eines Theaterstückes von 24000 Versen, für 500 Schauspieler und riesigem Orchester über die Entsetzung von Orléans. Le Mistère du Siège d’Orléans war eine Ode an Jeanne d'Arc, und der Auftraggeber und Mitautor Gilles de Rais wies sich selbst einen bedeutsamen Platz an ihrer Seite zu.

Seine Familie liess ihn schliesslich entmündigen und drängte den in Suff und Rastlosigkeit Abstürzenden ins Abseits. Zuletzt lebte Gilles de Rais umgeben von Liebhabern, Betrügern und Speichelleckern in seinem Schloss in Tiffauges, das zu Blaubarts Burg wurde. Hier versuchte er sich mit Hilfe betrügerischer Alchimisten und Magier in der Beschwörung magischer Kräfte, der Goldmacherei, der Schwarzen Magie. Vor allem aber frönte er seiner Lust, Kinder zu missbrauchen und zu ermorden. Ein Vergnügen, das in allen schauderhaften Details im Ketzerprozess 1440 gegen ihn zur Sprache kommt. Ob es der Druck der Kirche war, die ihn mit der Exkommunikation sowie Folter erpresste, oder ob er tatsächlich erleichtert war, dem manischen Blutrausch zu entkommen - jedenfalls widmete er sich der Selbstbezichtigung, der Reue, tiefer Gottergebenheit und Demut mit derselben Energie, mit der er Soldat war, Theater gemacht, verschwendet und gemordet hatte.

Dass ein hoher Adeliger vor Gericht kam, hatte allerdings wohl mehr politische als kriminelle Gründe - er hatte sich einen Widersacher im Kampf um sein restliches Vermögen geschaffen, der ihn auf diese Weise aus dem Weg zu räumen hoffte. Die Familie de Rais starb aus, zurückgeblieben ist nur die Ruine von Tiffauges - ein schaurig wie von einem Blitz gespaltener Turm. Und das Märchen Blaubart.