Krieg und Trauma

Kaum sechs Monate nach dem Tag des Sieges fingen wir schon an zu vergessen, was unsere Männer durchgemacht haben. Als die ersten zehn Männer nach Hause zurückkamen, hieß es noch: “Heil den siegreichen Eroberern”, bei den nächsten fünfzig hieß es dann: “Nett, daß ihr wieder da seid”, und bei den folgenden zweihundert sagte man: “Ekelhaft, dieses Gesindel von Veteranen wächst sich allmählich zu einer Plage aus.”
General Bradley, US Veteranen-Beauftragter nach dem Zweiten Weltkrieg

Einmal ein Marine immer ein Marine.
Bryan Westrick, 22jähriger US-Marine-Infanterist

Aus jedem Krieg, auch wenn er mit schönen Worten und nationalistischem Gloria begonnen wird, kehren Soldaten zurück, die überlebt haben und doch seelisch daran schwer verkrüppelt sind. Sie bringen die Gewalt, die sie ausgeübt und der sie ausgesetzt waren, mit sich in die Gesellschaft. Der Krieg hört nicht auf.

Während nach dem Zweiten Weltkrieg diese Traumata ignoriert und im Wiederaufbau sublimiert wurden, gilt ihnen heute mehr Aufmerksamkeit, aber weder mit Verständnis noch mit Interesse. Denn den Soldaten haftet in der westlichen Welt der Geruch an, mit etwas in Berührung gekommen zu sein, das in der Gesellschaft keinen Platz hat. Die vergessenen Kosten des Krieges nennt Rieckhoff, Kopf der Iraq And Afghanistan Veterans Of America, den Problemkomplex.

Schon die medizinische Behandlung der US-Kriegsversehrten wird durch Scheinwartelisten und Behördenschikanen zurück- und kurzgehalten, für die psychische Betreuung der Heimkehrer stehen erst recht weder Aufmerksamkeit noch Ressourcen zur Verfügung. Die gesellschaftliche Anerkennung ist selbst in der kriegsfreudigen USA bei den politisch fragwürdigen und auch nicht durch den Triumph eines Sieges gekrönten Kriegseinsätzen in den letzten 20 Jahren bereits nach der mit Hymnen und Pomp aufgeblasenen Heimkehrfeier verbraucht. Dem Soldaten haftet in der Zivilgesellschaft ein übler Geruch an. Die Politik hat sich ihrer bedient, doch nach dem Motto “Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen” sollen sie schnell in ein ziviles Leben zurück verschwinden, das viele der sehr jungen Männer jedoch noch gar nicht hatten. So machen die allein gelassenen Veteranen durch Amokläufe, Aggression, Selbstmorde, soziale und wirtschaftliche Unfähigkeit, wieder zu funktionierenden Staatsbürgern zu werden, auf sich aufmerksam.

Nach dem Ersten Weltkrieg nannte man sie die Kriegszitterer, heute attestiert man gut der Hälfte der US-Veteranen die posttraumatische Störung PTSD mit Schlaflosigkeit, Flashbacks, Panikattacken, Wutausbrüchen, Konzentrationsschwierigkeiten oder tiefer Gleichgültigkeit, in der jede Lebenslust erstickt. Diese Probleme treiben in die soziale Isolation, zerstören Familien, verhindern Berufstätigkeit. Sehr viele versuchen, sich mittels Medikamenten oder Alkohol aufrecht zu halten und geraten dadurch in der Drogenspirale ebenfalls abwärts.

Jeder zehnte Kandidat für die Todesstrafe in den USA ist ein Kriegsveteran. Der Amokschütze Andrew Brennan, der wegen einer Verkehrskontrolle um sich schoss, rief als Begründung: “Ich bin ein verdammter Vietnam-Veteran!” 20 Prozent der britischen Heimkehrer verübten ein Gewaltdelikt, Soldaten, die mehrere Einsätze erlebt hatten, sogar weit mehr.

Die Veteranen aus dem ehemaligen Jugoslawien zeigen eine ähnliche Statistik. Doch nicht solche spektakulären Fälle wie der Amoklauf eines Serben, der in seinem Dorf von Haus zu Haus ging und 13 Menschen erschoss, bis er selbst durch einen Schuss angehalten wurde, sind die Mehrzahl, sondern häusliche Gewalt, die Familien sprengt.

Wer die Aggression nicht nach aussen richten kann oder will, richtet sie gegen sich selbst. In Kroatien nehmen sich jährlich 130 ehemalige Soldaten das Leben.

In den USA 2012 starben etwa 350 US-Soldaten im aktiven Dienst an Selbstmord - mehr als an Kampfhandlungen - und täglich 22 Veteranen! Allein 60.000 Vietnamveteranen nahmen sich das Leben, das sind mehr als die Statistik der Army für die Gefallenen angibt. Daran hat auch der enorm gesteigerte Einsatz von Psychopharmaka seinen Anteil - denn diese helfen nur kurzfristig und erzeugen dann ihre eigenen Probleme. 50.000 Veteranen aus den Einsätzen im Irak und Afganistan sind obdachlos, 800.000 arbeitslos und eineinhalb Millionen leben an der Armutsgrenze.

In den USA wird dieses Phänomen bereits als “asymmetrischer Krieg” gegen die Army bezeichnet und illustriert auf traurige Weise eine Gesellschaft, die Kriegsrhetorik und Kriegsmüdigkeit in schizophrener Weise verbindet. Während Hollywood einen Krieg nach dem anderen mit fröhlicher Brutalität inszeniert, wurde der Beinstumpf eines Veteranen wegen Anstössigkeit von seiner Facebookseite gelöscht.

Frei von jeglicher Rücksicht auf solche Sensibilitäten sind nichtstaatliche Söldnerheere, die sich vor keiner Zivilgesellschaft verantworten müssen, wie etwa der IS. IS-Krieger werden bewusst zu Psychopathen trainiert, die Lust an der Gewalt ist ein fester Bestandteil der Gemeinschaft. In mörderischen Initiationsriten - wie man sie ebenfalls aus Erfahrungsberichten aus dem Holocaust kennt - wird in der sozialen Kontrolle der Kampfgruppe die natürliche Tötungs-Hemmung beseitigt. Auch Kindersoldaten werden auf diese Weise zu Tötungsmaschinen dressiert, die aus diesem Zustand kaum jemals wieder austreten können.

Thomas Elbert, Psychologe über seine Arbeit mit Kriegern und Kindersoldaten, berichtet:

“Alle, die Kampferfahrung gemacht haben, beschreiben diese Rauschzustände. Dass es quasi ein vergnüglicher Zustand ist, getötet zu haben.”

Das menschliche Mitgefühl, die Gewalthemmung wieder aufzubauen, ist jedenfalls bei weitem schwerer, als sie niederzureissen.

Krieg ist Katastrophe. Krieg ist Pervertierung des Lebens. Unter allen Umständen, zu allen Zeiten. Und wenn nicht für den Körper, dann für die Seele.