26.09.2018, Online Merker, Udo Pacolt

sirene-Operntheater mit neuer Produktion: „Jeanne & Gilles“ von François-Pierre Descamps

Im Rahmen des Festivals „Fieber, Feuer, Flamme“ brachte das sirene Operntheater im Reaktor in der Geblergasse in Wien-Hernals die Oper „Jeanne & Gilles“ von François-Pierre Descamps zur Aufführung.

Das sirene Operntheater, das im Jahr 1998 aus der Zusammenarbeit von Kristine Tornquist und Jury Everhartz als Werkstatt für neues Musiktheater entstand und bisher mehr als 30 Opern uraufgeführt hat – der Online-Merker veröffentlichte des Öfteren Rezensionen über diese Werke –, erhielt für ihre herausragenden Leistungen im vergangenen Jahr den Österreichischen Musiktheaterpreis.

In der Oper „Jeanne & Gilles“, deren oftmals ironisch gehaltenes Libretto Kristine Tornquist verfasste, wird die seltsam anmutende Geschichte der Liebesbeziehung zwischen Jeanne d’Arc und dem Massenmörder Gilles de Rais erzählt, der an der Seite der berühmten Freiheitsheldin Frankreichs gekämpft haben soll und nach ihrer Hinrichtung durch die Engländer mehr als 140 Kinder, meist Knaben, ermordete. Seine Hinrichtung fand im Jahr 1440 statt. In der Oper werden die Morde durch ein Trauma erklärt, das Gilles durch die Todesschreie Jeannes auf dem Scheiterhaufen erlitten haben könnte. Die Oper endet mit dem Auftritt des Beichtvaters Pasquerel: „Jeanne und Gilles. Beide tot. Und verurteilt. Das ist der Krieg. Er hat einen schönen Anfang und - “ Er horcht auf. „Da. Hört ihr die Vögel, die den Abend besingen? Das ist Gottes Stimme.“

Historisch belegt ist, dass der Prozess gegen Jeanne d’Arc in Rouen, in dem sie wegen Hexerei und Ketzerei verurteilt und verbrannt wurde, unter der Leitung des Bischofs von Beauvais geführt wurde. Auch der Schauprozess gegen Gilles de Rais wurde von der Kirche angestrengt, wie man im ausführlich gestalteten Programmheft nachlesen kann: „Angeklagt wegen des Überfalls auf die Kirche seines Feindes, des Herzogs der Bretagne. Schließlich auch für satanische Riten und Goldmacherei – und erst in dritter Linie wegen massenhaften Kindermordes.“ Soweit die Mitwirkung der katholischen Kirche im Drama um Jeanne und Gilles.

Im Programmheft führt Kristine Tornquist aus, dass „sie im Zuge einer Recherche zufällig auf diese beiden extremen Personen stieß.“ Es packte sie eine amour fou beim Gedanken, „diese zwei antagonistischen Symbole des Krieges zu verbinden – in einer ebensolchen amour fou.“ Und die Librettistin kommt zu dem Schluss: „Eine amour fou ist keine vernünftige Angelegenheit, es ist auch nicht bedeutsam, wie sie ausgeht, es zählt nur der Moment. Im Nachhinein greift sich der Verstand an den Kopf: wie konnte das passieren?“

Kristine Tornquist führte auch Regie – und es gelang ihr in der Säulenhalle des Reaktors eine packende Inszenierung mit guter Personenführung. Mit fahrbaren hohen Wänden, auf denen Schlachtenszenen, aber auch „friedliche“ Landschaftsbilder zu sehen sind (Bühnengestaltung: Markus Boxler, Malerei: Hanno Frangenberg) und kreativ gestalteten Kostümen (Markus Kuscher) wurde ein für die kriegerische Handlung gelungenes Ambiente geschaffen.

Der in Lille geborene Komponist François-Pierre Descamps, der das sirene-Operntheater-Orchester selbst dirigierte, schuf eine illustrativ gehaltene Musik, die die verschiedenen Szenen der Handlung begleitete, ohne in schrille Töne auszuufern.

Die junge Sopranistin Lisa Rombach – sie ist gebürtige Wienerin und lebt im Burgenland – brillierte als „von Gott gelenkte“ Jeanne d’Arc sowohl darstellerisch wie auch stimmlich durch ihren stets hell klingenden Sopran. Ihr ebenbürtig der Innsbrucker Tenor Paul Schweinester in der Rolle des Gilles de Rais. Einerseits leidenschaftlich im Kampf und in der Liebe, nach dem Tod der Jungfrau von Orléans verträumt und jähzornig agierend.

Als „Wildling“ Etienne de Vignolles beeindruckte der Wiener Bariton Andreas Jankowitsch. Mit kräftiger Stimme und wilder Entschlossenheit beim Kämpfen in der Schlacht stellte er seinen Mann. Gelassener und ruhiger wirkte der Grazer Tenor Bernd Lambauer als Jean d’Orléans. Schauspielerisch und mimisch gelungen der Bariton Johann Leutgeb in der Rolle des Beichtvaters Jean Pasquerel, der Gottes Stimme sogar im Vogelgezwitscher wahrnimmt.

Obwohl das gesamte Ensemble erfreulicherweise sehr wortdeutlich sang, war die Aufführung mit gut lesbaren Übertiteln versehen. Ein Service, das von manchen Besuchern gewiss gern genutzt wurde.

Als Maschinisten waren André Harm, Emil Kohlmayr, Till Krappmann und Marco Otoya im Einsatz, wobei sie als Bühnenarbeiter stets für raschen Fortgang des Geschehens bemüht waren. Einer der Männer sorgte auch für einen Scherz, indem er vor der zur Statue erstarrten Jeanne ein Selfie mit seinem Handy schoss. 

Am Schluss der etwa 95 Minuten dauernden Vorstellung lang anhaltender Applaus des begeisterten Publikums für alle Mitwirkenden. (Vorstellung : 26. 9. 2018)

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