Feist oder die Tullner Freunde. Eine Erinnerungstäuschung

Nichts ist an seinem Platz in dieser schlechten Welt, nichts als der ruchlose Satz, dass die Furcht die Götter erfand - in dieser Welt, dieser Satz dagegen wäre an seinem Platz, also da, wo er hingehört, etwa bei Petronius in seinem Fragment - da sagt de Maistre, der ein Ungeheuer ist, das sagt Cioran, der ein revoltierender Pessimist gewesen sein soll, das glaube ich denen wieder nicht, die bei solchen Etiketten das Gefühl haben, dass solcher Senf sehr tiefsinnig zu einem kulturphilosophischen Statement passen würde.

Fast alle Freunde, die ich zufällig in einem schweizerischen Bahnabteil treffe, sind ungefähr so alt wie ich, und wenn einer, den ich zunächst überhaupt nicht kenne, zu mir dann sagt, Du, der Einfachheit halber einfach nur Du, dann freuts mich jedesmal so wie damals als dies ein einziges Mal passierte auf dem Weg nach Port Bou, als ich unter dem Eindruck der viel zu langen Schi dachte, der sieht doch genauso aus wie Jochen, wo Jochen doch entweder in Italien sein müsste, oder wenn schon nicht in Leipzig, dann berufsapodemisch noch eher in Alaska. Dabei hat er über Herder dissertiert, wenn auch das vorletzte Buch nicht über Faust, so doch über die italienische Reise handelt, was sich in seiner letzten Veröffentlichung im Titel Vom Fremden niedergeschlagen hat.

Mein Gott, was haben wir mit Benjamins Barockbuch unterm Arm über den onkelhaften Einfall gewinselt, als ob die Zeitlichkeit, die Endlichkeit wirklich das einzige wäre, worum sich alles dreht.

Am Diwan lagen sie, wir auch, dann nicht mehr, ständig lümmelnd herum, jene fürchterlichen Zitterflausen im Kopf, alles verkehrt gereimt, alles aus der Melancholie einer misma quinta, wie wir heute wissen, könnt ich doch durch eigene Kraft allem gegenüber resiginieren und finde ich dann Frieden und Ruhe im Schmerz, kann ich mich in alles fügen, selbst wenn jener entsetzliche Dämon, schrecklicher als der Knochenmann, der den Menschen erschreckt, selbst wenn der Wahnwitz mir die Narrentracht vor meine Augen hielte und ich seine Miene verstünde... Ein Mensch kann noch in einem einzigen Blick zum Himmel, von welchem alle gute Gabe kommt, und dieser Blick soll ihm selbst und dem verständlich sein, der sucht... Feist bin ich selbst so richtig nie gewesen, aber einige meiner Tullner Freunde. Mit einem definitiven Nichtbeaobchtungsblick in Richtung auf die einzige anwesende Schönheit soll der Senator bei einem Festbankett signalisiert haben, dass er das Reich der Ideen weit höher schätze als das der Frivolitäten. Man braucht bloss nach Tulln zu fahren, da kommt sowas als Heimweh gleich doppelt gratis zurück.

Als mich Stunden danach, nach dieser erstickenden Nachtfahrt im schlechtgebuchten Frauenabteil etwa um 5 Uhr früh wieder am Strand von Port Bou die Sonne wie natürlich in der irrwitzigen Schräge einer Erinnerungstäuschung erwartete - da dachte ich noch nicht daran, dass ich jetzt gleich sagen werde: Liebes Opernpublikum, lesen Sie Emmanuel Bove - schon um Feists Freunde willen.

Walter Gartler