9 Wunderkammern - private Künstlersammlungen

Kuratiert von Brigitte Felderer | Projektbeschreibung

Die Wunderkammer ist kreatives Archiv für die Künstlerinnen und Künstler, ist aber auch Schauplatz geheimer Obsessionen und will nichts weniger als den Kosmos erfassen. Wer sammelt, möchte sich einen Überblick verschaffen, Vergleiche herstellen und Vollständigkeit, wenn nicht gar Vollendung erreichen, und kommt in diesem obsessiven Wunsch dennoch nie ans Ziel.

1 Magic Money. Jonathan Allen
2 Pilze. Ursula Hübner
3 Inspiranzien. Raja Schwahn-Reichmann
4 China Girls. Martin Reinhart. Johann Lurf
5 Bücher. Loys Egg / Originalstimmen. Wolfgang Dorninger
6 Petit-Point-Objekte. Eva Blimlinger
7 Schi. David Moises
8 Sammlung der Möglichkeiten. Iris Andraschek
9 Makrostaub. PRINZGAU/podgorschek

Die Aufführungen der neunteiligen Opernserie werden von neun Vernissagen begleitet: An jedem Premierenabend wird auch eine Ausstellung eröffnet. Gezeigt werden neun unterschiedliche Sammlungen, die von Künstlerinnen und Künstler angelegt wurden. Dem Publikum eröffnen sich diese Sammlungen in einem fast theatralischen Akt. So werden die Sammlungen oder Teile fürs Ganze einer Sammlung, in einem Kasten untergebracht. Nach einem Kommentar zur jeweiligen Sammlung, vorgetragen von Kennern und Künstlerinnen, öffnet sich das Cabinet dem Publikum und gibt den Blick auf die Inhalte frei. Vorübergehend richtet sich die „Sammlung der Sammlung“ im Gedächtnis der Besucher ein.

In dem Roman von Leo Perutz „Nacht unter der steinernen Brücke“ ist die legendäre Sammlung Kaiser Rudolfs II. wiederkehrender Bezugspunkt. Das Begehren des Kaisers, für seine Sammlung neue Objekte und Werke zu erwerben, läßt die unterschiedlichen Geschichten neue Wendungen nehmen, stürzt Hauptfiguren in Verzweiflung und läßt erkennen, daß dem Kaiser an den Wundern seiner Sammlung mehr liegt, als an den Befindlichkeiten seines Untertanen. Doch bietet diese Wunderkammer auch Trost und Zuflucht vor der Verantwortung, die ihm die kaiserliche Rolle auferlegt. Nur die Sammlung wird ihm zu einem privaten Raum, in dem selbst ein Kaiser dem Protokoll entkommt. Jede seiner Äußerungen, jedes Erscheinen ist auch Ausdruck seines Amtes. Nur im Verhältnis zu den kostbaren Dingen seiner Wahl mag er auch als private Person mit individuellen Gefühlen und Eigenheiten erscheinen, jenseits aller Staatsräson. Rudolf mochte sich in seiner Sammlung gewissermaßen verlieren wollen.

Perutz sammelte in seinem Roman Geschichten und wählt eine durch die Überlieferung entrückte Welt als erzählerischen Freiraum. Es geht ihm weniger um die historisch exakte Rekonstruktion vergangener Lebenswelten, als vielmehr um die Präzision von Stimmungen, die er zu vergegenwärtigen weiß. So werden die Inhalte der Sammlung Rudolfs nicht detailliert, wohl aber der Umgang mit der Sammlung, die Folgen seiner obsessiven Sammeltätigkeit. Die Erzählungen verzichten darauf, die dokumentierten Wirklichkeiten der Geschichte bei ihren Namen und Zahlen zu nennen, der Autor hält kollektive Geschichten der Vorstellung und Erinnerung fest, die unzerstörbar sind und unendlich fortgesetzt werden können, über alle schrecklichen historischen Fakten hinaus.

Der Autor sammelt Geschichten zwischen Realität und Fiktion. Kaiser Rudolf II. ist nicht Hauptfigur des Romans und steht doch im Zentrum der Geschehnisse. Als Sammler wird er zum Anlaß für dramatische Wendungen in den einzelnen Geschichten.

Die erhöhte Aufmerksamkeit gegenüber den Dingen, der Kunst, den Geschichten läßt den Sammler immer auch Akteur sein, der zumindest im Kosmos seiner Sammlung dem Schicksal wenn schon nicht zu entrinnen, dieses doch zu drehen vermag – und sei es nur ein neuer point of view, der sich einstellt.

In diesem Sinne stellen die neun ausgestellten Künstlersammlungen ein jeweils neues Weltverhältnis her. Die gesammelten Dinge bilden ein kreatives Archiv, einen Schauplatz der Obsessionen und wollen dabei doch auch historische Ordnungen schaffen. Wer sammelt, möchte sich einen Überblick verschaffen, Vergleiche herstellen und Vollständigkeit, wenn nicht gar Vollendung erreichen, und kommt in diesem obsessiven Wunsch dennoch nie ans Ziel.

Die ausgestellten Sammlungen geben Weltbilder wider und eröffnen Einblicke in kreative Prozesse. Sie sind individueller Ausdruck jeder Berührung mit der Gesellschaft, stellen den Anschluß zwischen aufgeklärter Welterfassung und modernen Konsumwelten her. So dokumentieren die ausgestellten Sammlungen, daß nicht nur Kostbares und Seltenes gesammelt wird. Banale Konsumgegenstände und Gebrauchsobjekte werden gesammelt, die im Kontext einer Sammlung einen neuen Wert annehmen. Historische Gegenstände erhalten eine eigene Geschichte und Traditionelles wird radikal erfrischt.

In einer Sammlung verändert jedes Objekt letztlich seine ihm ursprünglich zugeschriebene Bedeutung, je nach der Strategie der Sammlerin, des Sammlers, die einmal auf das Objekt aufmerksam geworden sind.

Die ausgestellten Sammlungen sind auch nicht unbedingt alle für eine Öffentlichkeit bestimmt. Selbst wenn Einblick geboten wird, bleiben sie doch privates Terrain. So werden die Sammlungen auch nicht ausgestellt, sondern wird dem Publikum nur kurz Einblick gewährt.

Jonathan Allen, Iris Andraschek, Eva Blimlinger, Wolfgang Dorninger, Loys Egg, Ursula Hübner, Johann Lurf, David Moises, PRINZGAU/podgorschek, Martin Reinhart und Raja Schwahn-Reichmann sei für soviel Einsicht in die Konstruktion unserer Realität gedankt.

Brigitte Felderer