Maschinelles Streichquintett von Jakob Scheid

Die Klanginstallation monochorde ist eine autonome Musikmaschine, die nicht durch ein vorgegebenes Programm, sondern durch die eigene Dynamik gesteuert wird.

Die Installation besteht aus mehreren Geigenapparaten, die sich mit Hilfe eines akustischen Kommunikationssystems zu einem „Schwarm“ von interagierenden Einzelapparaten organisieren. Gleichsam als Nebenprodukt ihrer Interaktion erzeugen die Geigenapparate eine Musik und einen Tanz, die die Struktur ihrer internen Organisation hörbar und sichtbar machen und gleichzeitig einen gewissen, tragikkomischen Charakterzug ihrer Aktivitäten enthüllen.

Die Geigenapparate erzeugen ihre Töne selbsttätig. Auch die Abfolge der Töne wird nicht von einem Musiker eingegeben und ist auch nicht vorprogrammiert, sondern ergibt sich aus dem Ablauf eines kybernetischen Prozesses, der von mehreren Faktoren beeinflusst wird:

Die Ausgangsimpulse für den Prozessablauf sind in der Programmierung der einzelnen Apparate angelegt. Der Prozess entfaltet sich aber erst durch das Zusammenwirken der Geigenapparate untereinander und lässt sich durch akustische Signale, die von außen in das System gelangen, lenken (z.B.: Zurufe aus dem Publikum).

Geigenwägen

Die Apparate lassen sich als elektromechanische “Geigenwägen” beschreiben: jeder von ihnen besitzt einen Resonanzkörper, einen motorbetriebenen Geigenbogen und eine elektronische Steuerung mit einem elektronischen “Ohr”. Mit Hilfe von zwei Antriebswalzen “klammert” sich der “Geigenwagen” an einen langen, horizontal durch den Raum gespannten Stahldraht, an dem er, wie die Gondel einer Seilbahn, hin- und herfährt. Der Draht dient dem Wagen nicht nur als Trageseil, sondern auch als Saite, die er durch Streichbewegungen seines Geigenbogens in Schwingung versetzt. Er bringt dabei aber nur einen bestimmten Streckenabschnitt der Stahlsaite zum Klingen, da seine Antriebswalzen die Saite abklemmen und einen Schwingungsknoten verursachen. Die erzeugte Tonhöhe wird daher von der Position des Geigenwagens auf der Saite bestimmt.

Horchen und Tönen

Die Grundregel, die den kybernetischen Prozess der Installation in Gang hält, ist einfach: Jeder Wagen hat die Aufgabe, einen Ton, den er durch sein elektronisches Ohr empfängt, mit seinem Geigenbogen nachzuspielen. Woher der empfangene Ton kommt ist beliebig: in den meisten Fällen wird es ein anderer Wagen sein, der gerade den Geigenbogen einsetzt, es kann aber auch ein zufälliges, akustisches Ereignis in der Umgebung sein - wichtig ist, dass der Ton klar und laut genug ist, um es der elektronischen Steuerung des Wagens zu ermöglichen, dem Ton eine eindeutige Tonfrequenz zuzuordnen und diese abzuspeichern.

Gelingt dieses, ist die “Horchphase” des Geigenwagens abgeschlossen und es beginnt die langwierige “Testphase”: Der Wagen muss nun jene Position auf der Stahlsaite aufsuchen, an der sein gespielter Ton mit dem abgespeicherten “Sollton” übereinstimmt. Da der Wagen keinen Überblick über die Saite hat und bei der Ermittlung seiner momentanen Position alleine auf sein einziges Sinnesorgan (das elektronische Ohr) angewiesen ist, muss er sich durch wiederholtes, kurzes Streichen der Saite, durch Prüfen des Tones und durch Hin- und Herfahren auf der Saite der gesuchten Stelle annähern.

Ist der richtige Ton gefunden, so ist die Aufgabe des Geigenwagens erledigt und er schließt sie mit einem kräftigen Bogenstrich ab. Gleich darauf verfällt er erneut in die Horchphase, während der er reglos verharrt, bis er einen neuen Sollton empfängt. Danach startet er eine weitere Testphase.Die kurzen Töne, die während der Suche nach dem richtigen Ton produziert werden, können fallweise anderen Wägen, die sich gerade in der Horchphase befinden, als Sollton dienen. Öfter jedoch wird der kräftige Bogenstrich, mit dem ein Wagen das Auffinden der gesuchten Tonhöhe abschließt, einem anderen Wagen den Sollton vorgeben, sodass sich nach und nach alle Wägen ein und demselben Ton annähern, bis es annähernd zum Gleichklang kommt.

Labiles Gleichgewicht

Voraussetzung für den Gleichklang ist, dass kein “Störton” aus der Umgebung (z.B.: ein Pfiff aus dem Publikum) kommt. Das würde zunächst das Ausscheren eines einzelnen Wagens und in der Folge ein heilloses Durcheinander unter den Wägen nach sich ziehen, bis sich allmählich wieder ein Grundton aus dem Tönegewirr herauskristallisiert.

Jakob Scheid