Der vergessene Alchimist

Schulden freilich sind eine missliche Sache und man darf sie um alles in der Welt nicht vermehren. Es ist mit ihnen wie mit dem Biss einer Schlange. Anfangs meint man, es wäre nichts. Aber man geht daran zu Grunde.

Der Kaiser hat finanzielle Probleme, er ist seit langem zahlungsunfähig, verschuldet sich aber immer mehr, um Kunst zu kaufen. Er ist verzweifelt, als die Räte ihm für einige Gemälde kein Geld mehr bewilligen wollen. Sein Leibkammerdiener Philipp Lang beruhigt ihn und rät ihm, sich geschäftlich mit dem reichen Juden Mordechai Meisl zusammenzutun, statt auf die Goldmacherkunst des Hofalchimisten Jakobus van Delle zu setzen.

Der Hofalchimist Jakobus van Delle hat beim Kaiser seinen Kopf darauf verwettet, dass er bis zum St. Wenzelstag einen Barren Gold erzeugt haben werde. Doch die Umwandlung von Blei in Gold ist misslungen und van Delle hat Todesangst. Sein Freund, der ehemalige Hofnarr Brouza, beschliesst, ihm zur Flucht aus der Burg und zu Geld für die Weiterreise zu verhelfen. Dazu geht er zum Kaiser und reizt ihn solange, bis der Kaiser auf ihn losgeht. Brouza lässt sich verprügeln, doch danach beklagt er sich, was der verstorbene Vater des Kaisers, dessen liebster Hofnarr er war, dazu sagen würde.
Um ihn und sein Gewissen zu beschwichtigen, gibt ihm der Kaiser drei Gulden. Brouza bringt die drei Gulden zu van Delle und hilft ihm, mit einer Strickleiter aus der Burg zu entkommen. Dabei verletzt sich van Delle und versteckt sich ängstlich in Brouzas kleinem Haus.

Die Flucht des Alchimisten wird erst lange Zeit nach dem Wenzelstag bemerkt, doch der Kaiser hat die Wette ohnehin längst vergessen. Und Philipp Lang erklärt dem Brouza, dass der Kaiser einen neuen, erfolgreicheren Goldmacher für sich gewonnen habe. Als van Delle das erfährt, ist er so gekränkt, dass er sich die Pulsadern aufschneidet und stirbt. Sein Freund Brouza ist untröstlich wie damals, als Kaiser Maximilian starb.

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Wäre nicht die Fabel des Alchimisten die des irregeführten Künstlers? Desjenigen, der die Natur zu zwingen versucht, anstatt sie zu bewundern und als Vorbild zu nehmen? Ebenso sehr wie der wunderbare und naive Narr Brouza, empfinde ich Freundschaft für den Alchimisten, für seine Aufrichtigkeit und seine Standhaftigkeit. Sein Leben lang hat er viel gelernt. Vielleicht würde er zu seiner Zeit ein anerkannter Wissenschaftler gewesen (Perutz hat die Figur erfunden). Bei ihm aber gewinnt die Schimäre der Alchimie über die wissenschaftliche Vernunft. Er akzeptiert eine unsinnige Herausforderung, anstatt die Grenze des menschlichen Willens zu anerkennen. Sein Abgang ist die Konsequenz seines romantischen Verhaltens: man spielt nicht mit der Natur, man ahmt sie nach. Der Kaiser bleibt vom Schicksal des Alchimisten ungerührt. Er wollte sich die schönsten Kunstwerke anschaffen, es gelingt ihm dank des Geldes des modernen Geschäftsmannes und kann dann „schweben“ inmitten seiner Wunderkammer. Das Schöne hat gewonnen. Möge uns Künstlern diese Geschichte zur Lehre dienen.

Die Oper ist Kristine Tornquist und Jury Everhartz gewidmet, die sie ermöglicht haben.

Francois-Pierre Descamps