Das verzehrte Lichtlein

Ein armer Mann zu werden, der nichts besaß, der nichts sein eigen nannte, das war sein einziger Wunsch, der ihm verblieben war.

1601. Abends hadert Mordechai Meisl allein zuhause mit dem Leben. Er hat keinen Sohn, dem er sein Gut hinterlassen könnte. Er denkt mit Kummer an seine früh verstorbene Frau und die rätselhaften Worte, die sie in ihrer Todesstunde rief: Rudolf hilf. Dann grübelt er über seine geschäftliche Verbindung zum Kaiser nach, der von ihm gegen eine Vielzahl von Privilegien nicht nur einen vierteljährlichen Anteil am Gewinn erhält, sondern nach seinem Tod auch die Hälfte erben soll. Und der Tod scheint nah, Meisl ist bei schlechter Gesundheit, nichts hält ihn mehr am Leben. Er empfindet, dass er ein bereits erloschenes und nur noch gewaltsam am Leben erhaltenes Licht sei - wie jenes, das der Rabbi Löw einmal mit einem Zauberwort eine lange Nacht am Verlöschen hinderte - weil Gott ihn noch zu irgendeinem Zweck auf dieser Welt brauche. Aber zu welchem?

Des Kaisers Kammerdiener Philipp Lang kommt zu Besuch, beobachtet den Gesundheitszustand Meisls mit kalter Gier, denn er wartet auf den geheimen Schatz, dessen eine Hälfte der Kaiser erben soll. Die andere Hälfte will er sich selbst unter den Nagel reissen. Sie sprechen über Geschäfte und Tratsch vom Hof. Meisl fragt Lang, warum der Kaiser, wie er selbst, weder Frau noch Kind hat. Lang erzählt ihm, dass Rudolf einer geheimnisvolle Geliebten treu geblieben sei, die wohl die Frau eines andern gewesen und dem Kaiser plötzlich entrissen worden sei. Die Geschichte bedrückt Meisl unerklärlich und er äussert den Wunsch, den Kaiser einmal persönlich zu sehen. Lang vertröstet ihn auf später, weil er hofft, dass Meisl noch davor sterben werde. So verkleidet sich der alte Mordechai Meisl als Metzger und fährt mit der Fleischlieferung für die Raubtiere in die Burg, um den Kaiser zu sehen.

Rudolf II. ist bedrückt, er hat wieder schlecht geträumt. Die Fütterung der Löwen zu Mittag lässt sich Rudolf aber nicht entgehen. Auf seinem Weg zu den Käfigen, wirft sich ein als Gärtnerin verkleidetes Mädchen vor ihn, um für ihren Vater um Gnade zu bitten und ruft: Rudolf hilf! Der Kaiser hält das Mädchen für einen faulen Küchenjungen, rügt sie und geht weiter. Doch Mordechai Meisl fallen diese zwei Worte tief in die Seele und er begreift, dass der Kaiser der Geliebte seiner Frau gewesen ist. Er sinnt auf Rache. Der Kaiser soll nichts von ihm erben. Er beschliesst, seinen grossen Reichtum loszuwerden - und gerade so lange will er noch leben.

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Eigentlich ist es leicht. Der rote Faden ist schon da, vorbereitet vom Autor und gelegt von der Librettistin. Letztendlich geht’s einerseits nur mehr um Effizienz und Zeitmanagement und andererseits um Textverständlichkeit, Humor, polyphone Spielereien und mannigfaltigen Einsatz der Musik im Musiktheater: von übertönender Präsenz und bunter Ausgelassenheit über Ausmalen von Flächen über Nachzeichnen von Konturen über feines Schattieren bis zum Schweigen reicht die Palette – man braucht sich nur zu bedienen.

Eigentlich war es leicht. Retrospektiv wurde mir während der letzten Jahre die Ehre zuteil, fast jede Situation aus der Handlung und fast jeden Charakter, jede Rolle, jeden Schlag Mensch des Lichtleins kennenlernen zu dürfen... und somit brauchte ich mich nur ein wenig zu erinnern: an selbstherrliche Geschäftsführermentalität, an finanzielle Winkelzüge beiderseits der Legalitätsgrenze, an Meetings und Strategieentwicklungen, an deren Gelingen und Scheitern, an Loyalität und Sozialkompetenzen, an Egozentrik, Verwirrung und Opportunismus, an Freundschaft, Selbstlosigkeit und Hilfe, auch an Rose und Rosmarin. Einem Typ allerdings wünsche ich sehr gerne noch zu begegnen: einem, der die Welt aus dem Gleichgewicht bringen und sie dann auch wieder reparieren und einrichten kann. Oder der zumindest das Licht am Erlöschen hindert. Richtlinienkonform, versteht sich.

PS: Nachtrag zu Nachts. Rudolf II fütterte ja bekanntlich seine Löwen selbst im Löwenhof beim Hirschgraben (heute ist dort das Wirtshaus Löwen-Hof), insbesondere einen Löwen namens Mohamed: denn der Astrologe Tycho de Brahe (Vorgänger vom Kepler am Prager Hof) hatte vorausgesagt, dass beide, Rudolf und Mohamed, zusammen verenden/sterben. Und siehe da: Löwe Mohamed verendete am 19.Jänner 1612, Rudolf hielt noch eine Nacht durch...

Hat unser Freund Josef Cap aus Zwittau unlängst zufällig irgendwo entdeckt. Da soll noch einer was gegen die Astrologie sagen!

Paul Koutnik