Wiener Zeitung, 01. März 2004, Christoph Irrgeher

Im Magen des Molochs

Wenn ein Herr in mittleren Jahren unvermutet von einem Krokodil verspeist wrd, danach noch unvermuteter in dessem Bauch weiterlebt - was kann man dann tun? In der Welt des Fjodor Dostojewski jedenfalls herzlich wenig: Da rät der Arbeitskollege, den "unschicklichen", weil singulären Vorfall zu vertuschen; die Witwe in spe techtelmechtelt schon durch die Männerwelt. Und der Krokodilbesitzer erhöht angesichts rasanter Besucherentwicklung seine Eintrittspreise. Alles im Namen des kultisch verehrten "ökonomischen Prinzips". Das lukrative Getier aufschneiden? Blanker Unsin. Ausweiden sollte man die Artgenossen - um daraus Brieftaschen oder Delikatessen zu fertigen.

Fraglich nur, ob sich aus Dostojewskis "Krokodil", diesem knappen Textfragment über den nimmersatten Kapitalismus, eine ganze Oper stricken lässt. Der Deutsche Komponist Jury Everhartz hat´s jedenfallsversucht - und sie mit gebotener Skurrilität für "zwolf Flügel und ein Krokodil" instrumentiert; die Uraufführung war jüngst im Wiener Jugendstiltheater zu erleben.

Um wirklich kongenialen Humor muss man aber bei dieser Produktion des Operntrupps sirene allerdings verzichten. Weil Regie und Musik gleichermassen ums modernistische Extrem buhlen. Und das "Krokodil" als Panoptikum des Ausnahmezustands inszenieren - obwohl Dostojewskis absurder Witz eigentlich erst im Kontrast zündet.

Womit wir auch schon bei der Musik wären. Respekt vor den zwölf im Saal verstreuten, bourgouise gewandeten Pianisten: Jenes rhythmische Geratter, das sie neben sphärischen Summtönen und allerlei Neuton-Lauten zu produzieren haben, war gewiss nicht leicht einzustudieren.

Umso markanter agierten dafür die Sänger. Allen voran begeistert der junge Bariton Marco Di Sapia mit geradezu herkulischer Stimmkraft, als zickiges Frauchen des Verschlungenen trumpft Lisa Fornhammar auf. Und der "Krokodil-Jonas" selbst. Wie unzurechnungsfähig Tenor Bernd Fröhlich zuweilen aus dem gefrässigen Moloch (in Wahrheit: ein grünes Klavier) hervorblickt, ist schon sehenswert. Wacker kämpft er sich durch die enorme Höhenlage seiner Partie.

Und darf sich zuletzt mitsamt den übrigen soliden Kollegen über wohlwollenden Applaus freuen.

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