Schattentheater

Das Schattentheater, dessen Wurzeln im Fernen Osten (genauer in China, Indien und Indonesien) liegen, ist eine der ursprünglichsten Formen des Theaters. Auch wenn der genaue Ursprung nicht mehr festgestellt werden kann, ist doch belegt, dass diese Tradition seit über 2000 Jahren existiert. In Europa erlebte das Schattentheater in der Romantik seinen Höhepunkt. In der gegenwärtigen Theaterpraxis wird seit den 1970er Jahren vermehrt mit Schattentheater gearbeitet und experimentiert. Zum Schattentheater gehören ein abgedunkelter Raum, eine Lichtquelle, ein Schattenschirm und ein schattenwerfendes Objekt, das sowohl der menschliche Körper wie auch Figuren oder Gegenstände aller Art sein können.

Die Faszination des Schattens ist so alt wie die Menschheit selbst. Der zweidimensionale Doppelgänger, der uns nicht von der Seite weicht, der wächst, schrumpft und sich manchmal verzerrt, hat in den verschiedensten Kulturen symbolische Bedeutungszuschreibungen erfahren. So glaubten die Ägypter, dass die Seelen der Verstorbenen als Schatten weiterlebten und ihren Leichnam regelmäßig auf der Erde besuchten. In der griechischen Mythologie bevölkerten die Seelen der Toten als Schatten das Reich des Hades.

Im Volksglauben diverser Indianerstämme, der Azteken, germanischer und ostasiatischer Völker wie auch in Afrika und im arabischen Raum ist der Schatten der Sitz der Seele, die sich nach dem Tod vom Körper löst und in die Unendlichkeit eintritt. In der altiranischen Religion nach Zarathustra verweilt die Schattenseele noch drei Nächte lang beim Leichnam bevor sie vor das göttliche Gericht geführt wird und über eine Brücke ins Jenseits gelangt.

Dem vom Körper gelösten, unsterblichen Schatten haftet so auch etwas Göttliches an. Die altiranische Vorstellung sieht im Verhältnis von Körper und Schatten die Spiegelung des Verhältnisses von irdischem Leben und der Welt der Götter. Denn es galt, dass es zu allem Irdischen auch eine überirdische, jenseitige Entsprechung geben müsse.

In der Psychologie steht der Schatten nach C. G. Jung für den verborgenen, unterdrückten und sündhaften Teil der Persönlichkeit. Für Triebe und Leidenschaften, Sehnsüchte und Fantasien, aber auch für Egoismus, Gewalttätigkeit, Hass und Hochmut etc.

Das Schattentheater spielt mit diesen symbolischen Bedeutungsebenen, beeindruckt durch seine aussagekräftige Bildwirkung und Wandelbarkeit. Mithilfe von Schatten lassen sich das Nicht-Fassbare, das Transzendente, das Unheimliche wie auch Träume und magische Verwandlungen darstellen wie mit keiner anderen theatralen Ausdrucksform. Dabei ist diese Form des Theaters technisch gesehen bestechend einfach und in seiner Wirkung dennoch ausdrucksstark und faszinierend.

Christina Piegger | Video: Hinter den Kulissen. Wie man ein Schattentheater macht.

Reusch, Rainer, Schattentheater. Theorie + Praxis, Bd. 3, Schwäbisch Gmünd: Einhorn 2005, S. 10-38
Lommel, Herman, Die Religion Zarathustras nach dem Awesta dargestellt. Mohr, Tübingen 1930, S. 100-110, 185-190
Nyberg, Henrik Samuel, Die Religionen des alten Iran. (1938) Neuauflage: Otto Zeller 1966, S. 120-130, S. 143-145