was geschieht

Sie teilen Eins in zwei Teile. Sie subtrahieren eine Hälfte. Eins minus einhalb ist einhalb. Wohin verschwindet die Hälfte, die von der Eins subtrahiert wurde? Sie werden sagen, auf die andere Seite der Gleichung. Gut. Aber nun frage ich Sie, wohin ist die Eins verschwunden, von der eine Hälfte abgezogen wurde? (Epilog)

Marie und Luise sind sogenannte siamesische Zwillinge, sie teilen sich zwei Beine und zweieinhalb Arme, aber sonst ist jede von ihnen eine eigenständige Persönlichkeit. Weil sie sich in ihrer Gemeinsamkeit als vollkommen erleben, wollen sie sich politisch engagieren.

Sie treten gemeinsam in die gelbe Partei ein, auf deren Agenda das Soziale ganz oben steht. Doch lernen sie bald, dass die Politik ihre eigenen Gesetze hat. Albin, rechte Hand des Parteichefs Professor Hirsch, erklärt ihnen unverblümt, wie man sich in der Politik und bei den Medien gegen Mitbewerber durchsetzt.

Da die Zwillinge sich bewähren und in den Medien populär geworden sind, wird ihnen endlich ein Amt angetragen - das Sozialressort. Doch kann nur eine vorne stehen. Die innerparteiliche Entscheidung zwischen Luise und Marie wird zur privaten Katastrophe.

Marie verweigert in der Abstimmung ihre Stimme. Sie will nicht für sich gegen Luise stimmen. Die knappe Abstimmung fällt deshalb zugunsten Luises aus. Sie  übernimmt unbeirrt die Sozialagenden. Marie, die nicht damit einverstanden ist, dass Stimmen gegeneinander aufgerechnet werden, geht in Opposition zur violetten Partei.

Die beiden Parteien koalieren und so gelten Marie und Luise als Symbole der Koalition, obwohl sie privat längst nicht mehr im Einklang sind. Als jedoch die Wahl ansteht, beschliessen die Parteien - getrieben von Spindoktor Albin - die Zwillinge wieder loszuwerden, da sie einen glaubwürdigen Wahlkampf gegeneinander erschweren.

Marie und Luise werden wieder zurück in ihr zweisames Leben katapultiert, doch nichts ist, wie es früher war. Ihre zunehmende Opposition hat sich auf ihren geteilten Körper verlagert.

Marie hat sich in den Pressesprecher der Violetten, den schönen Alexander, verliebt. Sie verlangt die Trennungsoperation, auch wenn als sicher gilt, dass nur eine von ihnen überleben wird.

Die Thematik - so konkret sie sich im Libretto als Sonderfall darstellt - ist natürlich eine symbolische. Wie kann eine Beziehung, die immer auf Rücksicht und Selbstbeschränkung beruht, in einer Welt bestehen, deren Dogma die unbedingte Selbstverwirklichung ist. Gerade der Topos der Politik, die doch das Miteinander der Menschen zu verwalten versucht, schien ein ideales Feld, dieses Zerreissen von Bindungen darzustellen.

Nicht umsonst wird der Sonderfall, in dem Marie und Luise, die siamesischen Zwillinge, leben, in der Welt der einzelnen Menschen eine Behinderung genannt. Sie behindern sich jedoch erst dann, wenn sie einander verlassen.

Libretto | Kristine Tornquist