12 Selfies mit Sisyphos

All this has happened before, and all this will happen again. (The Hybrid, Battlestar Galactica)
Of course you realize, this means war! (Bugs Bunny)

1. In Douglas Adams’ Restaurant am Ende des Universums. Hier jeden Abend aufs Neue der Untergang des Universums, Zeitblase erstaunlich stabil. Wiederholung, bis selbst das spektakeligste aller Spektakel öde geworden ist. Universen können Planeten um Sterne rollen, bis sie zerschmelzen, Sterne um Galaxien, bis sie zerplatzen, Galaxien um andere Galaxien, bis sie verdampfen, sie blasen Seifenblasen aus Gasgiganten. Marvin, der Roboter mit dem Gehirn eines Planeten, findet das schrecklich langweilig, er ist aufgrund der vielen Zeitreisen älter als das Universum selbst. Und depressiv.

2. Beim Verfassen des Arztbriefs: „Patient Sisyphos. Glaubt, einen Stein auf den Berg rollen zu müssen. Der zurückrollende Stein: Ewige Einheit mit der Mutterbrust als „Strafe“ einer ödipalen Autorität, daher eigentlich Belohnung. Daher Befreiungsgefühle, Glück, Aufgehen in der konfabulierten Tätigkeit. Tendenz zur Selbstbestrafung, Autoerotizismus, starke Faszination mit nächtlicher Masturbation (rollen). Obstipation trotz Laxativum. Kann „stein“-harten Stuhl nicht loswerden. Bearbeitet ihn immer wieder. Typische Analität. Unbewusst: Gleichsetzung von Anus und Gipfel. Der Anus bleibt sauber, der Stein drin. Therapie: Lithium, Kunst- und Musiktherapie. Überweisung z. Dr. Grunberger wg. Abklärung d. Narzissmus.“

3. Arbeiter im nahen Pub Serenity, Entwurf zum Protestbrief. „Der Held der Arbeit, Genosse Sisyphos Varoufakis, wurde am Vortag von den Reaktionären gefangengenommen und in ein Hochsicherheitsgefängnis der Militärpolizei verbracht.“ Der Nachbartisch stopft sich rasch zwei Kurze in die nächste Körperöffnung: „Sisyphos? Held der Arbeit? Der ewige Streikbrecher, der! Der Knecht der neoliberalen Sportifizierung der Arbeit, der!“ Das wird nichts.

4. In einer Universität. Viel, sehr viel  Konfuzianismus: Der Weg ist das Ziel. Ob Sisyphus durch seine Strafe glücklich oder frei wird. Ob er mit seinem Stein tanzt oder ihn abnutzt. Ob man jetzt statt Stein „Mineralienkonglomerat“ sagen sollte. Therapie und Strategie, das ganze Gerolle, alternative Weltsicht gegen die hegemonialen, imperialistischen Wirklichkeitsbegriffe. Wer rollt hat recht. Red Bull verleiht uns und Sisyphos Flügel. Sisyphos ist frei. Wir arbeiten. Sisyphos arbeitet. Kombiniere: Wir sind frei. Wir sind Sisyphos.

5. Auf dem Campus. Stichwort Sisyphos: „Der Stein, yeah!“ Wiedererkennungsrausch. Pommesgabel und Zunge raus, wegen Authentizität. Aber was hat Sisyphos den Göttern eigentlich getan? Hat Sisyphos den Tod getötet? Wollte er auf ewig zur Geliebten und Mutter zurück? Hat er’s jetzt davon? Aber von was? Keiner? Selbst die Griechen uneins? Die Zensur hat gewirkt.

6. In einem kleinbürgerlichen, keineswegs unwahren Traum. Der kleine Tiger geht Pilze sammeln und der kleine Bär geht fischen. Wenn der kleine Tiger keine Pilze findet, angelt der Bär zwei Fische und wenn er keinen angelt, findet der kleine Tiger eben einen Korb voll Pilze. Alle sind cool. Auf dem See, da liegt Adorno: Rien faire comme une bête. Nichts tun wie ein Beter. Nichts tun wie eine Beute. Nichts tun wie eine Bestie. Adorno wird die Sache auf Dauer doch gar zu öde, in einer so freien Gesellschaft arbeitet er gern auch mal ein paar Stunden als Fahrstuhlpage, Straßenkehrer, Nilpferdkönig oder Apfelsinenpflücker. In einer freien Gesellschaft rollt Sisyphos gern ein paar Stunden am Tag den verfickten Stein auf den Berg. Rollt er ihn jetzt, im Angesicht des doch arg blutigen Mittags des arg aktuellen Weltgeistes, so ist seine Arbeit sinnlos. Weil es wichtigeres gäbe für einen Kerl wie ihn. Wenngleich Grauenvolleres. Es gibt immer Grauenvolleres als den Tod. Folter. Alles kann Folter werden. Musik. Kitzeln. Trinken. Eine der schlimmsten Foltern ist Langeweile, mahnt Fromm den überdrüssigen, passiven, getriebenen Sisyphos. Das aber ist arger Relativismus, der erst in der Unendlichkeit wahr wird, in der sich alles nivelliert.

7. Mit Sisyphos, der Sofakartoffel. Hängt abends wieder wie ungeschält auf der Couch. Filme, genug für drei Menschenleben. Es passiert immer das gleiche. Getting into trouble and out again. Ewig stampft die Jazzmaschine, ewig grinsen die Babies aus den Magazinen. Immer muss Vin Diesel Autos klauen und kratzig sprechen, obwohl er gern Falsettsänger geworden wäre. Immer wird jemand angeschossen auf dem Battlestar Galactica. Immer muss Monk den Fall zu lösen, immer wird er durch echt ekligem Kram mit seiner verdammten Zwangsstörung konfrontiert und nie küsst er Sharona. Immer muss McNuilty/McGuilty saufen und immer muss Sookie Stackhouse Leichen vom Parkett putzen. Immer muss Bugs Bunny das mit dem Krieg sagen, das hier von Dietmar Dath abgeschrieben ist, der es von Bugs Bunny abgeschrieben hat, der, wenn man immer auf Wiederholen klickt, das auch stundenlang sagt. Den Song „Look at my horse”, in dem eine Art Nietzsche auf einem Esel fliegt, gibt es in 10 Stunden Wiederholungen zusammengeschnitten, ein virtualisierter Sprung in der Schallplatte. Mad Max rät aus dem Fernseher und aus Erfahrung: “If you can’t fix, what’s broken, you’ll go insane.” Und bleibt verrückt. Weil’s nicht geht. Ist ganz kaputt, die Welt, ganz kaputt.

8. Mit Sisyphos am Berg. Wie er zuschaut, von oben, während die Unfreien kaputtgehen, immer wieder Knochenmühlen. Er, ganz bystanding, schaut aufs Smartphone. Hat Wichtigeres zu tun. Was geht ihn Syrien an, er hat Steinrollschwierigkeiten. Kafkaeskpopafkaesk, sagt Helge Schneider aus dem Off, mit seinem lakonischen Schmunzeln in der Stimme.

9. Einst. Teichoskopie. Sisyphos vs. Tod, 1:0. Ares befreit Tod, aber Sisyphos stirbt nicht. Lässt sich einfach nicht beerdigen. Lebt deshalb weiter, logisch. Wird dann bestraft mit dem, was er einst von Herzen für alle wollte: Nicht sterben. Nie. Immer wiederholen. Eigentlich egal, ob er dem Universum beim Untergehen zuschaut oder einen Stein rollt oder immer Death-Metal-Solos auf der Gitarre herunternudeln muss. 

10. Am Grab. „Gott ist tot!“ Postet der untote, gottlose Sisyphos auf Facebook. Und dann: „Wtf hat gestern auf der Party mein tibetischen Meditationsstein geklaut?“ Sein Posting rollt die Wall hinunter, am nächsten Tag muss er neue Sachen posten, die auch wieder die Wall hinunterrollen, weil andere Leute ihre Sachen posten. Metaphysik ist ein böser Bumerang. Wenn man sie wegwirft, dann trifft sie einen von hinten am Kopf, wenn man es am wenigsten erwartet. Ziemlich überflüssig. 

11. Im Krieg, mit Hegel und Sisyphos. „Krieg, Krieg bleibt immer gleich!“ sagt der Geschichtenerzähler im Vorspann des Computerspiels Fallout. Ist Krieg immer gleich? Hegel wartet noch auf den Morgen, dessen Mittag nicht blutig ist. Bis dahin häuten sich die Schlangen des Geistes, aber jedes Mal sieht die Schlange anders aus. „Es ist Krieg und wir gehen hin“ sagt Paul Parin, der Ethnopsychoanalytiker, der Arzt, und geht zu Tito nach Jugoslawien, seine Frau Goldy nach Spanien. Danach Analyse: Wiederholen, erinnern, durcharbeiten. Hexereianklagen sind rational, aber die Faschisten sind es nicht, sagt der Relativist Evans-Pritchard, geht auf ethnologische Feldforschung in den Sudan, setzt sich ab und in einen afrikanischen Baum, erschießt italienische Faschisten. Was macht Sisyphos? Sitzt er gerade in einem syrischen Baum, Black Beret, Sniper-Style? Oder schiebt er Flüchtlinge ab, die am nächsten Tag wieder dastehen? Weil sie flüchten vor einem Krieg, den niemand für sie kämpfen will? Weil keiner mehr sterben will? Für metaphysischen, antiaufklärerischen Quatsch wie Freiheit, die dann doch wieder nur den Bach runtergeht? Für ein paar Schulen, die dann doch wieder in die Luft gesprengt werden?  Ist ja auch sauteuer, so ein Krieg, sagt der bürgerliche Egoismus, aber den mag eh niemand.

12. Sisyphos, ziemlich stoned, Hardrock im Hintergrund. Bei Schere-Stein-Papier mit Sisyphos gewinnt man dann, wenn man immer Papier wählt. Was wählen wir?

Felix Riedel