Theater und Publikum

In den zweihundert Jahren, die vergangen sind, seit die Laaser "Hirlanda" 1791 zum ersten und bis nun letzten Mal in der kleinen gotischen Kirche von Laas aufgeführt wurde, hat sich nicht nur alles andere, sondern auch das Publikum verändert. Das Publikum einer kleinen Landgemeinde im Barock hatte seine großen Auftritte in der wöchentlichen Sonntagsmesse, am Kirtag und zu den wenigen anderen Festen, und ganz selten, einmal im Jahr höchstens, bei einem Kirchenspiel wie diesem. Die Aufmerksamkeit war gespannt, wohl in großer Erwartung wie heute vor einer Fußballweltmeisterschaft, die Bereitschaft, sich zu verlieren und zu identifizieren heute nicht mehr vorstellbar. Nicht ganz von ungefähr wurden Mysterienspiele deshalb verboten, weil eine sittliche Gefährdung derer, die Teufeln oder Sünder zu spielen hatten, aber auch derer, die dabei zuschauen mußten, befürchtet wurde, denn immer wieder kam es bei Aufführungen vor, dass Akteure und Zuschauer in Ekstase gerieten, weil sie die Vorstellung von Wirklichkeit für Wirklichkeit hielten.

Eine Empfänglichkeit und Entflammbarkeit, die ein Regisseur im 20. Jahrhundert sich nicht einmal mehr erträumen kann. Heutiges Publikum ist nicht nur äußerst reserviert, wenn es sich, die Sinne und den Geist gegen Überraschungen gewappnet, ins Theater setzt, sondern auch hochgebildet. Ganz abgesehen von der Zahl der Theaterbesuche (die im Barock einem französischen Fürsten gerecht geworden wäre) und der gelesenen Kritiken, hat das moderne Publikum hunderte Spielfilme aus Kino und Fernsehen im Kopf abgespeichert und unvergleichlich mehr gelesen und ist damit Spezialist für Dramatik. Im Augenblick des Erlebens finden bereits Reflexion und Vergleiche statt, die Figuren werden in ihren Funktionen getrennt rezensiert: einmal als Idee, einmal als Bild und einmal als Schauspielleistung. Dazu hat sich das Publikum an bestimmte Zeiten gewöhnt: ins Theater geht man vorzugsweise abends und im allgemeinen zwei Stunden lang, die in Sesselreihen verbracht werden.

Im Hirlanda-Original werden alle modernen Regeln der Dramaturgie und des Publikums verletzt. Die Ereignisse werden vorangekündigt und damit alle Spannung genommen und danach noch und noch wiederholt und besprochen. Nebenhandlungen sind zäh und lang, die Haupthandlung überspringt bedenkenlos Jahre und nur wenige Wendungen in der Handlung sind plausibel. Die reine Lesezeit beträgt fünf Stunden, vermutlich dauerte die Aufführung durch Laiendarsteller damals inklusive aller Zwischenspiele einen ganzen Tag, den das Publikum teilweise auch stehend verbrachte.

Nach alledem kann man sich vorstellen, daß die gezeigte Strichfassung eine Konzession an und eine Verbeugung vor dem modernen Publikum ist, das ungeduldiger ist und mehr Information in weniger Zeit erwartet, mit hohem Anspruch an visuelle, akustische und schauspielerische Qualitäten differenzierte und subtil konstruierte Momente verlangt, nicht belehrt, sondern zum selbständigen Denken angeregt werden möchte, das sich gegen Bevormundung wehrt und Vielschichtigkeit schätzt.

Aus der Antwort, die das Stück "Hirlanda" von Johannes Udalricus von Federspill dem barocken Landpublikum war, mußte auf diese Weise vor dem Publikum des zwanzigsten Jahrhunderts eine vorsichtige Frage werden.

Kristine Tornquist