Der Maler Brabanzio

Ein Hauch sind die Menschenkinder, auf der Waage schnellen sie empor, sind leichter als ein Hauch allesamt.

Kaiser Rudolf II, ein besessener Kunstsammler, gerät ein kleines Bild des Prager Malers Brabanzino in die Hände, das er als Meisterwerk erkennt. Er besucht inkognito den Maler in seinem Atelier. An der Wand hängt ein kleines Bild, das ihn fasziniert. Er rät dem Maler, auf der Burg sein Glück zu versuchen, doch Brabanzino will davon nichts wissen, denn es hat sich schon herumgesprochen, dass der Kaiser allen das Salair schuldig bleibe.

Mordechai Meisl betritt das Atelier. Er hofft, dass der Maler ihm ein Portrait seiner vor langer Zeit verstorbenen Frau Esther malt, die er nicht vergessen kann. Er versucht, Esther zu beschreiben. Brabanzino kann aber nach diesen Beschreibungen mit den Augen der Liebe kein Porträt malen. Doch dem Kaiser Rudolf dringen die Worte von Meisl ins Herz und er zeichnet gedankenverloren aus der Erinnerung das Gesicht seiner Geliebten aus den Träumen, die er nie vergessen konnte. Selbst ist er mit der kleinen Zeichnung nicht zufrieden, sie scheint ihm zu oberflächlich. Er lässt sie liegen und verlässt das Atelier mit dem Vorsatz, am nächsten Tag einen Kämmerer um das kleine Gemälde von Brabanzino zu schicken.

Ein Windstoss bläst die Zeichnung des Kaisers vor die Füsse Meisls und des Malers. Meisl erkennt auf dem Bild seine verstorbene Frau und honoriert den verwunderten Maler grosszügig.

Am nächsten Tag findet der Kammerdiener des Kaisers das Atelier des Brabanzino leer vor. Mit den acht Gulden des Meisl hat sich der unstete Maler auf eine Reise gemacht.

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Der Maler Brabanzio ist ein Einakter nach einem Libretto von Kristine Tornquist und einer Vorlage von Leo Perutz, einem Schriftsteller, dessen großes Erzähltalent ich bewunderte, seit ich 2008 seinen Roman Nachts unter der steinernen Brücke kennen gelernt hatte. Danach zog mich auch der Roman Der Schwedische Reiter in seinen Bann. Perutz’ Vermögen, den Leser zu fesseln und ihn aus der Alltagszeit zu lösen, ist nicht nur literarisch wertvoll, sondern kann auch die Imagination eines Komponisten anregen, der einerseits die Farben, Stimmungen und Charaktere einer literarischen Handlung wiederzugeben versucht, andererseits aber auch eine musikalische „Metaebene“ anstrebt, die der Handlung jenes Etwas hinzufügt, wozu nur Musik imstande sein kann. Für mich persönlich habe ich den Eindruck gewonnen, dass dieses Etwas in Perutz’ Sprache schon mitschwingt.

Titelheld der Geschichte ist der Maler Brabanzio, aber die heimliche Hauptperson ist Rudolf. Trotz dieser zentralen Rolle zieht der Sinn der Handlung an Rudolf vorbei, mit dem skurrilen Ergebnis, dass er rein gar nichts von dem mitbekommt, was sich eigentlich ereignet. In einem Moment der Entrückung entwirft er das Bild Esthers. Meisl erkennt diese wieder, identifiziert jedoch Brabanzio fälschlicherweise als Urheber und gibt diesem den versprochenen Lohn. Als Lang am nächsten Tag ein Bild für Rudolf erstehen will, muss er feststellen, dass der Künstler Brabanzio das Weite gesucht hat. Allem Anschein nach ist er auf dem Weg ins Malerparadies Italien, der unverhoffte Geldsegen macht es möglich. Rudolf ist ratlos: „Dann war der Besuch ganz umsonst …“.

Die Handlung zieht also einen Kreis, der sich gleichwohl nie schließt. Demgemäß habe ich auch einen „offenen Rahmen“ komponiert: Zu Beginn des Prologs setzt die „uneigentliche“ Stimmung von Flageolettklängen ein, um nach und nach die „Eigentlichkeit“ des Hauptteils zu erreichen. Am Schluss kehrt dieser madrigalartige Duktus wieder, diesmal jedoch ohne Flageoletts, in tiefere Klänge transformiert. Diese Wiederkehr ist aber trügerisch: Am Ende mündet sie in eine Reminiszenz an Rudolfs Traumepisode, um sich im letzten Takt in einer ironischen Geste ins Ungewisse zu öffnen: Vollendung bleibt dieser Handlung verwehrt.

Dementsprechend ist die stilistische Einheit des Einakters von Brüchen durchzogen, die auch jene historische Entfernung markieren, die sich zwischen den handelnden Personen und uns heutigen Hörern befindet. Historische Kompositionstechniken wie Fugato oder Madrigal sind erkennbar, und von Zeit zu Zeit blitzen Zitate von Philippus de Monte (Hofkomponist Rudolf II.), Bach, Mozart, Mendelssohn oder Puccini auf. Auch das „ariose Gehabe“ des Tenors und ein expressiver Kanon in der Tradition Alban Bergs oder Luigi Dallapiccolas eröffnen jeweils eine Welt für sich. Dennoch vergeht Musik in der Zeit, und Zeit kann Kontraste überbrücken. Lineare Abfolge, Kreisbewegung, spiralartige Öffnung: Was ist Musik?

Lukas Haselböck