Wolfgang Bauer

Bauer, Wolfgang

Schriftsteller und Librettist.

Wolfgang Bauer wird am 18.03.1941 in Graz geboren. Das Einzelkind Wolfgang wächst in der Wohnung seiner Eltern in der Hauseggerstrasse 78 in Graz auf. Seine Mutter, Edith Bauer, Mädchenname Maidl (geb. 1914 in St. Veit an der Glan), und sein Vater, Rolf Bauer (geb. 1910 in Mixnitz), waren Gymnasiallehrer am Lichtenfelsgymnasium, bzw. an der Keplerrealschule. Von 1947 bis 1951 besucht Wolfgang Bauer die Volksschule in Graz-Baierdorf, danach tritt er in das Lichtenfelsgymnasium ein, wo er 1959 maturiert. Für Literatur hat der Schüler Bauer kein besonderes Faible; lieber malt er, geht ins Kino oder treibt Sport; er gilt als talentierter Tennisspieler. Einer seiner damaligen Kameraden ist Gerhard Roth. Sein Elternhaus ist aufgeschlossen und an Kunst interessiert, man besucht zusammen regelmäßig Aufführungen im Theater im Rittersaal. Der Vater ist literarisch tätig. 1959 inskribiert WB an der Grazer Universität Jus, ein Jahr später Romanistik und Geographie, danach zusätzlich Philosophie und Völkerkunde. In verschiedenen Lokalen (Haringsche Calmusstube, Gamlitzer Weinstube), in der Österreichischen Urania für Steiermark und vor allem im Forum Stadtpark kommt WB mit Intellektuellen und jungen Künstlern in Kontakt, mit denen ihn eine lebenslange Freundschaft verbinden sollte: Barbara Frischmuth, Alfred Kolleritsch, Herwig Kreutzbruck, Helmut Eisendle und v.a. Gunter Falk, von dem er entscheidende Anregungen bezieht.

In der Grazer Studienzeit entstehen die ersten literarischen Arbeiten: Gedichte sowie absurde Prosatexte und Stücke: „Der Schweinetransport“ und „Maler und Farbe“ – beide werden 1962 im Rahmen der von Emil Breisach gegründeten „Werkstatt für neue Dramatik“ im Forum Stadtpark uraufgeführt (Regie: Bernd Fischerauer) – sowie „Totuwabotu“ (UA Experiment Kleines Theater am Lichtenwerd Wien 1992) und „Batyscaphe 17-26 oder Die Hölle ist oben“ (UA Theater im Keller Graz 1982). Am 4.4.1962 findet im Forum Stadtpark die erste Lesung mit Texten Wolfgang Bauers statt. Im selben Jahr wird im Heft 5 der „manuskripte“ mit dem Gedicht „mittlerer sonntagstisch“ Wolfgang Bauers erster Text publiziert. Er wird fortan ständiger Beiträger der Zeitschrift.

Vom Herbst 1962 bis Sommer 1964 lebt WB in Wien, wo er Theaterwissenschaften und Romanistik inskribiert. In dieser Zeit entstehen die Stücke „Zwei Fliegen auf einen Gleis“ [!], „Katharina Doppelkopf“, und „Die Menschenfresser“, die sogleich auf kleinen Bühnen herauskommen, sowie „Pfnacht“ (UA Schauspielhaus Graz 1985). Seine Studentenwohnung in der Berggasse 18 teilt er zeitweilig mit dem Regisseur Horst Zankl. Seine bevorzugten Aufenthaltsorte sind das Café Hawelka und das Café Museum. Er lernt in dieser Zeit Joe Berger kennen, der einer seiner besten Freunde und Begleiter vieler privater und künstlerischer Aktivitäten werden sollte.

1964 bringt der Berliner Fietkau Verlag mit den „mikrodramen“ WBs Buchdebüt heraus; Ernst Jandl rezensiert den Band und ist begeistert. Zurück in Graz, schreibt Wolfgang Bauer die Stücke „Party for Six“ (UA in Innsbruck 1967) und „Der Tod des Herrn Ingenieur Habernik aus Linz“ (UA im Ateliertheater Wien 1967), daneben entsteht der Roman „Der Fieberkopf“, der 1967 bei Bärmeier und Nikel in Frankfurt am Main herauskommt. Im Umkreis des Forum Stadtpark lernt WB Jandl, Oswald Wiener, H. C. Artmann, Peter Handke, Klaus Hoffer und Wilhelm Hengstler kennen, seine gemeinsamen Auftritte, insbesondere die um gestische Elemente erweiterten Lesungen mit Gunter Falk (u.a. die Manifestation „HAPPY ART & ATTITUDE“) machen den jungen Dichter in der Grazer Szene bekannt.

Von 1965 bis 1968 schreibt WB Kritiken für die Kleine Zeitung. Am 21.4.1967 nimmt er in Wien am „Großen Zock Fest“ teil. Am 12.9.1968 schafft WB mit der Uraufführung von „Magic Afternoon“ (Landestheater Hannover, Regie: Horst Zankl) den Durchbruch im westdeutschen Theaterbetrieb. Er kommt beim Theaterverlag Kiepenheuer unter Vertrag, auch die Uraufführung von „Change“ im darauffolgenden Jahr am Wiener Volkstheater in der Regie von Bernd Fischerauer wird ein durchschlagender Erfolg. Beide Stücke werden in kurzer Zeit an zahlreichen Bühnen Westdeutschlands nachgespielt. 1969 kauft sich WB eine Eigentumswohnung in der Erlengasse 18 in Graz-Gösting. Mit Frischmuth, Handke, Hoffer und Alois Hergouth tritt WB eine Lesereise nach Polen an und geht mit den „schlechten“ Gedichten“ des Bandes „Das stille Schilf“ zusammen mit Herbert Feuerstein auf Deutschland-Tournee. An der Berliner Volksbühne inszeniert er „Magic Afternoon“. Mit der Aktionstheatergruppe „First Vienna Working Group : Motion“ („Arbeitsgruppe Bauernschnapsen“), zu der Joe Berger, Toni Dussek und Franz Ringel u.a. gehören, tritt WB in mehreren Städten im Rahmen von Happenings auf („Hunger : Biafra“, „Persepolis : Zelteln“, u. a.)

1970 erhält WB den Theodor-Czokor-Preis. Die Vergabe des Peter-Rosegger- Literaturpreises an Wolfgang Bauer polarisiert das damalige steirische Establishment, dessen rechter Rand den Namensgeber des Preises durch die Jury-Entscheidung verunglimpft sieht. Die Debatte schaukelt sich zeitweilig zum regelrechten „Kulturkampf“ hoch, der Preis wird in der Folge umbenannt. Auf Einladung des DAAD kommt Wolfgang Bauer als Stipendiat nach Berlin, in der Folge arbeitet er als TV-Regisseur in München und Stuttgart („Die Edegger-Familie“), daneben entstehen die Stücke „Film und Frau“ und „Silvester oder Das Massaker im Hotel Sacher“, dessen Premiere im Wiener Volkstheater geteilte Reaktionen seitens Publikum und Kritik hervorruft.

Am 30.12.1970 heiratet WB Sylvia Brodner, am 10.10.1971 kommt sein einziger Sohn Jack Donald zur Welt, im Oktober 1972 wird die Ehe geschieden.
1973 inszeniert er am Deutschen Schauspielhaus Hamburg „Wechselstrom / Gleichstrom“ von Heathcote Williams. In Begleitung von Gerhard Roth unternimmt Wolfgang Bauer eine USA-Reise, bis 1976 folgen noch vier weitere USA-Aufenthalte sowie Reisen nach Mexiko, Jamaika und nach Indien. Zwischenzeitlich arbeitet er als Kolumnist für die Kronenzeitung („Wenn Sie mich fragen“ 1973/74 und 1976/77)
1975 kommt der Kinofilm „Change“ (Regie: Bernd Fischerauer) heraus, für den trivialen Erotikfilm „Es war nicht die Nachtigall...“ schreibt Wolfgang Bauer das Drehbuch.

1975 beginnt WB mit Ilonka Barthel eine Liebesbeziehung, die bis 1980 Bestand hat.

1976 wird „Magnetküsse“ am Akademietheater uraufgeführt (Regie: Fritz Zecha).

1977 schreibt WB das Drehbuch „Häuptling der Alpen“, in Graz inszeniert er Gerhard Roths Theaterstück „Sehnsucht“. Weitere Regiearbeiten folgen: in Graz für Molières „Der Geizige“ (1978) und in Stuttgart für Italo Svevos „Ein Ehemann“ (1979), ein Jahr darauf bringt Wolfgang Bauer sein Stück „Memory Hotel“ im Grazer Schauspielhaus zur Uraufführung.

Im Frühjahr 1979 arbeitet WB an der englischsprachigen Erstaufführung von „Magnetküsse“ im Magic Theater“ in San Francisco mit. Dieses Theater, an dem der Bauer-Förderer Martin Esslin als dramaturgischer Berater engagiert war, wird in den darauffolgenden Jahren zum Angelpunkt der Bauer-Rezeption in den USA.

1979 lindert der Österreichische Würdigungspreis für Literatur Wolfgang Bauers mittlerweile akut gewordene Geldsorgen.
1980 reist Wolfgang Bauer nach Singapore, wo er drei Nächte im Raffles Hotel, dem Schauplatz seines Stückes „Woher kommen wir? Was sind wir? Wohin gehen wir?“ übernachtet.

Zwischen 1980 und 1983 hält sich Wolfgang Bauer immer wieder bei Gerhard Roth in St. Ulrich in Greith in der Südsteiermark auf. In dieser Zeit schreibt er die Stücke „Woher kommen wir?“ (UA in Bonn 1981), „Das kurze Leben der Schneewolken“ (UA in Stuttgart 1983) und „Ein fröhlicher Morgen beim Friseur“ (UA in Graz in der Regie Wolfgang Bauers), das Drehbuch für den Piloten zur TV-Serie „In Zeiten wie diesen“ und die in „Das Herz“ versammelten Gedichte.

1981 wechselt WB zum Wiener Thomas Sessler Bühnenverlag. Seine Schauspiele seit „Magnetküsse“ stellen aufgrund ihrer unkonventionellen Handlungs-, Raum- und Zeitstrukturen und der Thematisierung komplexer existentieller und philosophischer Fragestellungen weite Teile der Kritik und des Publikums vor gröbere Verstehensprobleme; Wiederaufnahmen dieser Stücke durch deutschsprachige Theater bleiben in der Regel aus. Erfolge feiert Wolfgang Bauer dagegen zunehmend auf fremdsprachigen Bühnen. Allein „Magic Afternoon“ wird in 15 Ländern außerhalb des deutschen Sprachraums inszeniert, u.a. in Israel, in den USA, in Mexiko, in Japan und Korea. In den darauffolgenden Jahren unternimmt Wolfgang Bauer zwei- bis dreimal jährlich Auslandsreisen, häufig in Zusammenhang mit fremdsprachigen Inszenierungen seiner Stücke.

1983 führt Wolfgang Bauer Regie bei den Dreharbeiten von „In Zeiten wie diesen“, aus der Produktion der Serie steigt er jedoch infolge von Auffassungsunterschieden mit den ORF-Verantwortlichen aus.

Am 19.10.1983 heiratet er Heidi Schrunner aus Weißkrichen in der Obersteiermark, die er zwei Jahre zuvor kennen gelernt hat. Sohn Jack, der bei Wolfgang Bauers Eltern aufgewachsen ist, zieht in die Wohnung des Vaters. Gunter Falk stirbt am Vorabend vor Weihnachten.

1984 produzieren Wolfgang Bauer und Jörg Schlick den Experimentalfilm „Die Kunst von A bis Z“, der im Grazer Annenhofkino gezeigt wird. Im Rahmen des „steirischen herbstes“ inszeniert Wolfgang Bauer G. M. Hofmanns Stück „Blasius“.

1985 präsentiert Wolfgang Bauer, dessen Leidenschaft für das Zeichnen und Malen nie abgebrochen war, in der Grazer Galerie Bleich-Rossi erstmals bildnerische Arbeiten im Rahmen einer größeren Ausstellung, an der sich seine Freunde Albert Oehlen, Martin Kippenberger und Jörg Schlick beteiligen. Diese Künstlerformation bildet auch den Kern der Lord-Jim-Loge, eine Art konzeptioneller „Kunst-Mafia“.

1986 wird das Kurzdrama „Ein schrecklicher Traum“ im Berliner Literaturhaus uraufgeführt.

1987 führt WB Regie bei der Uraufführung von „Herr Faust spielt Roulette“ am Wiener Akademietheater.

1990 stellt WB eine mit „Zahlnensistemowitz“ betitelte Bildserie mit übermalten authentischen Roulettepermanenzen im Forum Stadtpark aus. Für die Kleine Zeitung kommentiert er die Fußball-WM in Italien in der Kolumne „Allein gegen die Wuchtl“.

1991 stirbt Joe Berger. Im Forum Stadtpark findet ein internationales WB-Symposion statt; der Dichter wird mit dem Ehrenzeichen der Stadt Graz und der Ehrenmedaille der Bundeshauptstadt Wien ausgezeichnet. Hans Gratzer inszeniert im Wiener Schauspielhaus „Ach, armer Orpheus!“, im Grazer Schauspielhaus führt WB selbst Regie bei „Das Lächeln des Brian DePalma“. Wolfgang Bauer arbeitet am Katalog zur steirischen Landesausstellung zum Thema „Sport – Sinn und Wahn“ mit.

1992 ist Wolfgang Bauer erstmals Vortragender an der Wiener Schule für Dichtung, wo er bis 2001 kontinuierlich Schreibklassen betreut.

1993 gibt es drei Uraufführungen: „Die Kantine“ (Schauspielhaus Graz, Regie: Karl Paryla), „Insalata Mista“ (Ohio Theater, New York, Regie: Kurt Palm) sowie die Oper „Café Museum – Die Erleuchtung“ von Kurt Schwertsik, für die Wolfgang Bauer das Libretto schreibt. Im Frühjahr verbringt Wolfgang Bauer auf Einladung der „La-Napoule-Foundation“ zwei Monate in Südfrankreich. Wolfgang Bauer hält sich von jetzt an regelmäßig in Mönchegg (St. Wolfgang bei Obdach) auf, wo er ein Haus, das der Familie seiner Frau gehört, zur „Schreibklause“ hat.

1994 erhält Wolfgang Bauer den Großen Österreichischen Staatspreis. Im Rahmen des „steirischen herbstes“ inszeniert er „Das Fieber“ von Wallace Shawn im Kulturzentrum bei den Minoriten.

1995 dreht Thomas Roth das Filmporträt „Wolfgang Bauer – stets ein Fremder in mir“.

1996 wird unter der Regie von Stefan Bachmann „Skizzenbuch“ im Wiener Schauspielhaus uraufgeführt; im Grazer Schauspielhaus inszeniert Karl Paryla die Uraufführung von „Die Menschenfabrik“. Im Juni nimmt Wolfgang Bauer am internationalen Poesie-Festival in Medellín teil.

1997 stirbt Martin Kippenberger.

1998 schreibt Wolfgang Bauer abermals eine Fußballkolumne für die Kleine Zeitung („Pariser Schneckerln“), im November ist er Gast an verschiedenen Universitäten in Korea.

2001 wird im Wiener Rabenhoftheater „Café Tamagotchi“ uraufgeführt (Regie: Georg Staudacher). Wolfgang Bauer unterzieht sich seiner ersten Herzoperation.

Im Jänner 2002 erwirbt die Handschriftensammlung der Wiener Stadt- und Landesbibliothek das literarische Archiv von WB. Im Herbst ziehen Heidi und WB in eine angemietete Dachwohnung am Grazer Opernring 2. Wolfgang Bauer wird mehrmals am Herzen operiert. Ein gemeinsamer Ägyptenaufenthalt mit seiner Frau im März 2004 ist Wolfgang Bauers letzte größere Urlaubsreise. Im selben Jahr erhält er den („neuen“) Peter-Rosegger-Literaturpreis des Landes Steiermark; das Stück „Foyer“ wird im Rahmen des „steirischen herbstes“ uraufgeführt.

Mit der Operelle „Das gestohlene Herz“ von Jury Everhartz, für die Wolfgang Bauer das Libretto verfasst, kommt dessen letzter dramatischer Text am 31.10. 2004 im Auftrag des sirene Operntheaters im Tiroler Landestheater zur Uraufführung.

Wolfgang Bauer stirbt am 26.08.2005 in Graz infolge seines Herzleidens. Er wird am 02.09.2005 in einem Ehrengrab der Stadt Graz beigesetzt, die Grabrede hält Gerhard Roth.

Paul Pechmann

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