Peter Fritzenwallner: Lampedusa ist nicht Capri

Peter Fritzenwallner entwirft und konstruiert installative Systeme aus Objekten und Apparaturen. Meist dient der menschliche Körper, sein Gewicht und Volumen als konsitutive Systemkomponente. Deshalb kann an dieser Stelle nicht von "Kunstbjekten" als mit symbolischen oder historischen Bedeutungsfeldern verbundene "Signifikanten" gesprochen werden, sondern eher von "Dispositiven", maschinenhaften "Mini-Institutionen" - mit eigenen Gesetzmäßigkeiten und Handlungsspielräumen bzw. -einschränkungen.

Betritt eine Person das Setting, wird sie zu einer Komponente des Systems (z.B. als Energielieferant durch Muskelbewegungen, als "Gewicht" auf einem Hebelarm, etc.).

Der Ausstellungsbesucher wird als Benutzer des Settings zum Objekt der Anschauung (anderer anwesender Personen und dadurch auch der eigenen neurotischen Selbstanschauung, ausgelöst durch den imaginierten Blick der anderen).

Meistens liegt das Funktionieren der Arbeit genau im "falsch-benutzt-werden" der Apparatur oder es gibt schlichtweg kein "falsches" oder "richtiges" Verhalten, da die Apparatur die physikalischen Gegebenheiten in ein chaotisches System überführt und eine Steuerung ver Vorgänge nur bedingt bis gar nicht möglich ist. Minimale physikalische Differenzen und Energieunterschiede verursachen große Veränderungen  im Gesamtsystem. So kann das Verschieben eines Gewichts um wenige Zentimeter bzw. der Gewichtsunterschied von einigen Gramm, einen 90 Kilogramm schweren Körper zum Abheben bringen.

Wichtig ist die Zeit, innerhalb derer sich die künstlerische Arbeit "ereignet", da diese sich erst in der Interaktion vorübergehend realisiert.


Lampedusa ist nicht Capri

Als ich gerade begann, afrikanische Skulpturen in Gips abzuformen, beschäftigte ich mich wieder mal mit Beuys und stieß auf seine Arbeit "Rudel" oder auch "Pack" genannt. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um einen alten VW-Bus, aus dessen Kofferaum 24 Holzschlitten "flüchten", einem Schlittenhunde-Gespann gleich. Auf jeder Rodel ist eine stabförmige Taschenlame und eine Rolle Filzstoff befestigt. Das "Rudel" strömt quasi aus dem alten, technischen Artefakt "VW-Bus" aus, um in die "heile Natur" zu gelangen, also das typische Beuys-Problem: "die schlechte Technik" gegenüber der "guten Natur" genauso wie der "schlechte" Westen gegenüber dem "viel besseren" Osten. Soweit zur Beuys-Rezeption.

Ich will quasi ein "Re-Enactment" dieser Arbeit machen, eine Paraphrase. In einem neuen VW-Bus, in "EU-Blau" gehalten, steht in der hinteren Hälfte der Garagenhalle der Kofferraum offen, 24 Schlitten und Surfbretter (durchmischt), wo auf jedem Schlitten/Surfbrett jeweils eine afrikanische Statuette (abgegossen aus weißem Gips) und eine Rolle Stoff (afrikanische und arabische Muster) befestigt sind. Die Schlitten strömen allerdings nicht aus dem Kofferraum aus, wie bei Beuys, sondern versuchen in den Kofferraum "zu gelangen" (es würden nie alle Schlitten in den Kofferraum passen), quasi sich in den Kofferraum in Sicherheit bringen.

Die Lenkung des Busses ist ganz nach links eingeschlagen, sodass es so aussieht, als würde der Bus im Kreis fahren. Dementsprechend zieht sich die "Warteschlange" der Schlitten und Surfbretter auch nicht gerade hinter dem Bus in die Länge, sondern beschreibt eine Kurve, fast einen Kreis, die letzten Schlitten in der Schlange befinden sich eigentlich nicht mehr hinter dem Bus, sondern schon wieder vor dem Bus, drohen also von ihm überfahren zu werden. (Das ist natürlich assoziativ so, denn das Auto und alles befindet sich im Stillstand.)

Im Inneren des Busses liegt ein Knäuel aus einer Leuchtkette mit 180 Glühbirnen, das Innere im Bus wird dadurch wärmer werden, aber auch nicht zu heiß, da ja der Kofferraum eh offen ist.

Also was soll das Ganze: Es klingt zwar etwas platt oder banal, aber ich will hier einige Umdeutungen : Die Rodeln mit den afrikanischen Skulpuren könnten für Emigranten stehen, die versuchen, in den heilen Westen zu gelangen, weg aus dem Revolutions- und krisengeschüttelten nordafrikanischen und arabischen Raum ins rettende Boot Europa, dies ist natürlich zu klein und überrollt wiederrum die Individuen.

Die Glühbirnen im Bus strahlen einen verführerischen Glanz aus, sind jedoch unbequem heiß. Das Satellitenfernsehen (aus Italien, zb.), anderes Beispiel: glamoröse Talkshows im italienischen Fernsehen, übertragen über Satellit, vermitteln ein verzerrtes Bild von Europa in Nordafrika. Natürlich muss die Arbeit nicht unbedingt so direkt allegorisch gelesen werden. Aber ich glaube, es könnte dort in der Garage gut funktionieren!

Lampedusa ist nicht Capri | Peter Fritzenwallner