Okzident - Orient

Terror, Religionskriege, integrationsunwillige Immigranten - diese Schlagworte prägten in den letzten 40 Jahren das europäische Bild des Orient - jene geografisch im Vagen bleibende Ferne. Die Klischees und Vorurteile sitzen tief und sie sind alt. Was den Orient in der wechselnden europäischen Rezeptionsgeschichte auszeichnete, war immer das „Andere“. Während in der Renaissance über 200 Jahre Türkenkrieg das Bild dominierten - eine brutale äussere Bedrohung als einzige Gemeinsamkeit und Einigkeit eines im Inneren zerfallenen, kriegsgebeutelten Europa,  wandelte sich mit der Kolonialzeit das Bild ins Prickelnd-Exotische. Gut lässt sich das vor allem an den Sujets in der Malerei beobachten, die ab 1700 auftauchten. Haremsdamen, unbekannte bunte Früchte, üppige Bazare und immer viel nackte Haut der Sklaven. Zugleich überschwemmte der Profit aus den afrikanischen und nahöstlichen Kolonien Europa: Gewürze, Früchte, Farbstoffe, Edelsteine, Gold und kostbare Raubschätze.

Wenn auch die koloniale Unterwerfung vor allem ökonomischen Interessen diente (und nicht zuletzt auch den in Niedergang begriffenenen feudalen Strukturen neue Anwendungsgebiete schaffen sollte) wurde der Einfall in der Fremde missionarisch legitimiert. Die Kirche hatte bereits ab 1455 europäischen Herrschern Freibriefe zur Inbesitznahme asiatischer, afrikanischer und südamerikanischer Gebiete ausgestellt, und die neu entstandenen Banken machten die finanzielle Ausstattung der Handelskreuzzüge möglich. Die unterlegenen Wilden „zivilisierte“, missionierte und dominierte man und und nahm im Austausch die erotischen Reize der Exotik mit - anziehend, aber sündig. Nicht zuletzt wird das Kolonialverhalten oft mit einer männlichen Beherrschung weiblicher Landschaften gleichgesetzt - eine überlegene Herrenrasse zähmt die (ungeheure) wilde „Natur“.

Die Erzählungen aus 1001 Nacht haben seit dem 17.Jahrhundert ihr Bildervokabular in das Repertoire der europäischen Phantasie eingespeist. Der fliegende Teppich gehört ebenso dazu wie die Karawane, der Bazar, der Harem, der Dschinn aus der Flasche, die Palme, das Dromedar, der Muezzin am Minarett, die Wüste und die Oase. Jeder Europäer fächert ein Bündel von Assoziationen auf, wenn er diese Zauberbegriffe hört, doch wie es Klischees eigen ist, stehen sie nicht auf festem Grund. Es sind Begriffe wie eine Fata Morgana – man sieht sie genau vor sich, doch sie sind nicht wirklich da.

Heute ist der „Nahe Osten“ ein Ausnahmezustand, und wieder wird die europäische Vorstellung von Klischees dominiert. Seit den 70er Jahren beherrschen Palästinensertücher, Selbstmordattentäter, Taliban und Burka, Bomben, Steinigung und Beschneidung, ewig sprudelndes Erdöl, brennende Fahnen und polospielende Saudis das Bild. Doch diese Bilder eines bedrohlichen arabischen Islam wurden und werden in den europäischen Medien ebenso generiert wie das Orientbild seit dem 18. Jahrhunderts sich an Illustrationen aus Kinderbüchern und am exotisch-erotischen Skandalon in orientalistischen Gemälden formte. Heute bestehen beide Vorstellungen berührungslos nebeneinander – das Schreckensbild des kriegerischen Islam neben der Tourismuswerbung für den exotischen Luxus von Scharm El-Scheich.

Während wir dieses Projekt konzipierten und arbeiteten, wandelte sich das Orientbild aber erneut. Die Medien zeigten die Gesichter friedlicher und moderner junger Leute am Tahrir-Platz in Kairo, brachten Interviews mit dem tunesischen Mittelstand, zeigte den Witz und die kühne Planung der Aufstände im Netz. Der Westen leidet mit Lybien, von dem Europäern bisher nur Gaddafis exzentrische Uniformen ein Begriff waren, freut sich für Tunesien und bewundert Ägypten. Vielleicht kann sich in dieser Bewegung der entfremdete und von Vorurteilen geprägte Blick auf den Orient auch erstmals differenzieren.

Kristine Tornquist