Geschichten in Geschichten

Es ist allgemein bekannt, dass die Geschichtensammlung „Tausendundeine Nacht“ formal besehen nur eine einzige umfangreiche Schachtelerzählung ist.

Die Geschichte beginnt damit, dass eine Prinzessin unter Lebensgefahr beginnt, Geschichten zu erzählen, die jeweils so fesselnd und phantastisch sein sollten, dass sie damit dem grausamen Herrscher immer wieder Lust auf Fortsetzungen ihrer Geschichten bereite. Das gelingt ihr mit Erfolg: von eine Nacht auf die andere erweckt sie des Königs Neugierde, wie es denn weiter gehen werde.

In heutigen Fernsehserien nennt man so etwas einen „cliffhanger“. Diese Erzähltechnik der Unterbrechung immer dort – und wann –, wo – und wenn – es gerade am spannendsten geworden ist, wird ergänzt und bereichert durch eine weitere Methode des Erzählens. Personen, die Teil einer Geschichte sind, beginnen, innerhalb ihrer eigenen Geschichte eine andere Geschichte zu erzählen.

Bei mehrfachem Einsatz einer derartigen Erzähltechnik entsteht schließlich eine phantastische Welt, in der niemand mehr genau weiß, in welche Ebene der Realität sie oder er überhaupt hineingehört, sofern bei einem solchen Geschichtenwirbel überhaupt noch von irgendeiner Realität zu reden ist.

Die Geschichten aus Tausendundeiner Nacht sind unter anderem auch deshalb weltweit so berühmt geworden, weil in ihnen diese Art des Erzählens auf die Spitze getrieben wird. So können innerhalb einer Rahmenerzählung eine Reihe von Geschichten erzählt werden, es lassen sich aber auch weitere Verschachtelungen durchführen, wodurch niemand mehr genau zu sagen weiß, ob der Erzähler eigentlich Handelnder oder gar sowohl das eine oder auch das andere sein mag. Geschichten in Geschichten können schließlich die Erscheinungsform von Träumen in Träumen annehmen; und irgendwann befinden wir uns in einer Welt, in der sich schließlich schier alles – vermeintlich Reales und zauberisches Überirdisches – miteinander vermischt.

Was uns hier schließlich entgegentritt, ist eine allenfalls mögliche Realität, in der aber ihrerseits alles möglich ist und die sich in alle Richtungen unversehens ausstülpen kann. Diese allenfalls mögliche Realität ist in Wirklichkeit das Reich einer unbändig gewordenen Phantasie. Sobald wir uns auf sei eingelassen haben, können wir uns der Faszination dieser Märchenwelt nicht mehr länger entziehen und wir mögen gar Gefahr laufen, uns in ihr zu verlieren.

Bert Fragner