Der metropolische Hintergrund der Märchen von 1001 Nacht

1001e Nacht, so sehr das eine vielfach geschachtelte Rahmenerzählung ist, nennt man es auch eine Märchensammlung aus dem Orient.

Im Deutschsprachigen aber hat man seinen Begriff des Märchens von der Sammlung der Gebrüder Grimm abgeleitet. Die darin zusammengebrachten Volksgeschichten nun sind überwiegend Geschichten von Dörflern, Kleinstädtern und Bauern, trotz der Glückshorizonte aus Schlössern, Königen, Königinnen, Prinzen und Prinzessinnen und deren Festen wie Bällen. Sie stammen aus einer agrarischen Gesellschaft ohne weite Handelsverbindungen. Und das macht wohl auch die andere Glückskomponente aus, die übersichtliche, regional begrenzte Gesellschaft einfacher Sitten.

Die Geschichten aus 1001er Nacht aber spielen in großen Handelsstädten und dazu großen Handwerksstädten, Handwerk schon an der Grenze zur Industrie, oder sie spielen auf den großen Reisen zwischen diesen Städten. Und Schlösser sind nicht nur Schlösser, sondern sie liegen in wohl beschriebenen Parks und Landschaftsgärten mit Wasserzügen, Teichen, Seen der Träume vom Ideal eines komplexen Ambientes.

Das Ganze eingelassen in Sittenpluralismus. Wenn auch manche Strukturen des Zaubers und der Geisterwelt, wie der Geist aus der Flasche oder das verwünschende Versteinern oder Verwandeln in Tiere und Pflanzen, wiederum zaubrische Befreiung daraus, übereinstimmen zwischen den mitteleuropäischen Märchen und den orientalischen, die orientalischen greifen aus über die Ozeane, nicht nur per Schiff, sondern in wundersamen Flugutopien, wie dem fliegenden Teppich oder den Mitflügen nach Weise blinder Passagiere, gebunden an Riesenvögel.

Und was sind die armseligen Steinchen und Brotkrumen von „Hänsel und Gretel“ als Orientierungshilfe gegenüber dem Sichorientieren an Sonne, Mond und Sternen oder auch am Vogelflug in den Geschichten aus 1001er Nacht. Darin bezeugt sich der Riesenvorsprung in der Entwicklung hin zu einer Metropolengesellschaft, den der Islam einmal, nach Abreissen der römischen Traditionen, gehabt hat vor der christlich- europäischen Welt.

Das mitteleuropäische Märchen zeigt sich eng-regional ausgerichtet, das orientalische schaut sozusagen global in die Ferne.

Burghart Schmidt