Sheherazad und ihre Erzählungen heute

Shahrzad kann nicht lesen und schreiben. Reden kann sie gut. Ihre Geschichten erwecken Neugierde auf eine mögliche Wende.

Wort als Lebenskunst. Alte Legenden, mit Wahrheitskörnchen faszinieren noch heute.

In Iran gibt es heute noch Shahrzads, die nicht schreiben und lesen, aber brennende Geschichten erzählen können: Vom Leben und Leiden, von ewig in sich getragenen Sehnsüchten. Sie erzählen, damit diese Jahrtausende weiterleben.

Es gibt auch ganz andere Schwestern von Shahrzad in Iran, heute. Sie KÖNNEN lesen und schreiben, haben oft eine hohe Bildung und viel zu sagen.

Mit ihren unendlichen Geschichten verändern sie vielleicht etwas in den Köpfen der stehengebliebenen Patriarchen. Bieten einer baufällig gewordenen Gesellschaft mögliche Visionen an, die in funktionierende Wirklichkeiten zu verwandeln wären. In ihrer Brust lebt was WAR und Was IST nebeneinander.

Die alten brennenden Lebensgeschichten finden diese Frauen heute noch im Leben einiger Schwestern. Erzählstoff vom Besten. Sie beschreiben oder filmen das verwirrende Lebensgefühl, dass die heutige Shahrzad in Iran verspürt. Sie wissen auch, dass es sie selbst sind, die Veränderung herbeirufen müssen.

In IRAN stellen Frauen mehr als 60 % der UniversitätsabsolventInnen. Das ist für die heutigen Gegenspieler ein Problem, das nicht einfach zu bewältigen ist.

Vor wenigen Jahren, als es um das Publizieren besser bestellt war als jetzt, berichtete die New York Times von einem Schriftstellerboom in Iran: 270 neue Autoren; davon über 200 Frauen.

Inzwischen hat sich die Lage verändert. Shahrzad muss schweigen, auf bessere Zeiten warten. Diese muss sie aber erst selbst herbeizaubern. Alles was sie als Journalistin, Schriftstellerin oder Filmemacherin erzählt, kann gegen sie alle verwendet werden – mit schmerzhaften Konsequenzen.

Schreiben, Erzählen, neuerdings auch Filmemachen (welche Erzählform!) ist im Iran für die moderene Shahrzad zum gefährlichen Abenteuer geworden. Shahrzad verzichtet dennoch nicht darauf. Bietet Visionen, verpackt in altbewährte Erzählsysteme.

Shahrzad will - ja: muss - weitererzählen. Die phantasielose Realität verwandeln. Die Vorstellung von Macht und Nähe in den Köpfen des Herrschers Shahryar wird sich durch die unendliche Geschichte von Shahrzad ändern müssen.

Das Erzählen wird also fortgesetzt und damit die Morbidität durch Neugierde ersetzt : neugierig sein aufs Leben!

Jaleh Lackner-Gohari