Ein Königsdrama

Ganz unabhängig von Sympathien, die man dem sanften Oligarchen gegenüber hegen kann, und der Ablehnung, die man einer Einparteienautokratie wie Russland entgegenbringt, stehen hier nicht nur zwei mächtige Männer einander in persönlicher Abneigung gegenüber, sondern auch die zwei Machtprinzipien, die sie vertreten – die Macht der Politik und die Macht des Geldes.

Putin strebt im Erbe des Sowjetregimes absolute politische Kontrolle an, die reine Politik, die kaum von unabhängiger Öffentlichkeit, Medien, Justiz oder einfach durch Wahlen kontrolliert und korrigiert werden kann. Jelzins Politik war national und Putins Interesse ist konservativ - waren doch die Staatsbetriebe deshalb unterm Wert an Russen wie Chodorkowski verschenkt worden, damit sie unter russischer Kontrolle blieben.

Dem hielt Chodorkowski die Macht des Geldes entgegen. Der neoliberale Kapitalismus, den er und seine Partner im Eiltempo aus dem Boden stampften, brauchte andere Strukturen. Er sucht Internationalität, muss nach internationalem Recht agieren, muss sich aber auch um sein Image sorgen. Selbst wenn Chodorkowski nicht der Idealist gewesen ist, für den man ihn inzwischen halten muss, war ihm immer an einer modernen russischen Gesellschaft gelegen, in der die Politik auf die Wirtschaft keinen direkteren Einfluss ausüben kann als über Gesetz und Steuererhebungen.

Diese russischen Verhältnisse stehen im Kontrast zur Situation im Westen, wo die Konzerne und Banken längst die Politik vor sich herjagen. Als etwa George W. Bush in einer Brandrede Putin mahnte, Chodorkowski einen fairen Prozess zu machen und ihn freizugeben, sprach er nicht nur als oberster Sheriff westlicher Ideale, sondern er sprach auch im Namen der amerikanischen Ölfirmen, mit denen Chodorkowski verhandelt hatte und denen selbst verbunden war. Weder die reine Macht der Politik, noch die Ansprüche der Wirtschaft können eine Gesellschaft gesund regieren - das kann nur die Bereitschaft, das einzelne Schicksal als pars pro toto zu nehmen. In seinen Essays aus dem Gefängnis liess Michail Borissowitsch Chodorkowski an dieser Erkenntnis keinen Zweifel.

Kristine Tornquist