Zur Geschichte des Gilgamesch-Epos

1844 stieß der englische Archäologe Henry Layard bei Grabungen in Mesopotamien (dem heutigen Irak) auf die Ruinen von Ninive und fand dabei nicht nur fabelhafte Schätze, sondern auch die Überreste einer alten Bibliothek. Dabei förderte er zehntausende Bruchstücke zerstörter Tontafeln zutage, die er an das Britische Museum sandte, wo sich George Smith um ihre Erforschung bemühte und dabei das Gilgamesch-Epos entdeckte.

Erst 1872 fand Smith die Teilstücke der elften Tafel, auf der die Geschichte der Flut aufgeschrieben ist. Dieses Fragment stellt das am besten erhaltene Teilstück des Gilgamesch-Epos dar. Smith präsentierte seine Entdeckung im Rahmen eines Vortrages in der Gesellschaft für Bibelarchäologie,woraufhin der Daily Telegraph ihm Geldmittel für eine Expedition nach Ninive zur Verfügung stellte, um nach den fehlenden Bruchstücken dieses Teils zu suchen. Diese fielen ihm bereits am fünften Grabungstag in die Hände.

Smiths wissenschaftliche Abhandlungen über seinen Fund setzten akademische Dispute in Gang, die die Autorität der Bibel als Zeugnis göttlicher Offenbarung in Zweifel stellten: Es schien so, als wäre das Wort Gottes nichts weiter als die Abschrift eines mesopotamischen Textes.

Das Gilgamesch-Epos erzählt auf zwölf (in anderen Zählarten elf) Tontafeln in fragmentarisch erhaltenen Episoden die Geschichte des sagenhaften Königs Gilgamesch, der 6000-5000 v. Chr. über die Stadt Uruk geherrscht haben soll.

Die gefundenen Tontafeln stammen aus der Zeit des assyrischen Herrschers Assurbanipal (668-627 v. Chr.). Es scheint jedoch so, als wären Teile des Epos während des sumerischen Königreiches um 2000 v. Chr. verfasst worden, wobei mündliche Erzählungen zusammen getragen worden waren, deren Ursprünge noch viel weiter in der Vergangenheit liegen.

Gilgamesch gilt als das älteste niedergeschriebene literarische Werk der Menschheit.

Obwohl das Werk Gilgamesch längst nicht so stark rezipiert wird wie etwa die Epen von Homer und selbst passionierten Lesern oftmals nicht mehr als der Titel bekannt ist, weckt der Inhalt der Episoden Erinnerungen an andere literarische Schöpfungen.

So gilt die elfte Tontafel als älteste Quelle für die gleiche Bibelgeschichte Noahs aus dem Buch Genesis, eine weitere Variante dieser Geschichte erzählt die Geschichte von Deukalion und seiner Frau, die einer von Zeus gesandten Sintflut entkommen.

Gilgamesch greift Themen auf, die sich durch viele bekannte Epen ziehen, allen voran den Helden, der sich zahlreichen Prüfungen der Götter stellen muss. Seiner göttlichen Abstammung zum Trotz muss Gilgamesch die unüberwindlichen Grenzen menschlicher Erfahrung anerkennen, versinnbildlicht durch sein Scheitern bei dem Versuch seinen verstorbenen Freund Enkidu aus dem Reich der Toten zurückzuholen und dabei selbst die Unsterblichkeit zu erringen.

Einige Wissenschaftler sehen in der Reise von Homers Helden Odysseus ans Ende der Welt und in die Unterwelt, Parallelen zu Gilgameschs Suche nach Unsterblichkeit.

Obwohl der Text durch seine lückenhafte Überlieferung und die verschiedenen gefundenen Versionen nur schwer zu erfassen ist, übt er seit Tausenden von Jahren eine Faszination auf seine Leser aus. So schrieb etwa Rainer Maria Rilke an seine Freundin Katharina Kippenberg:

Gilgamesch ist ungeheuer: ich kenns aus der Ausgabe des Urtextes und rechne es zum Größten, das einem widerfahren kann.

Katharina Hollerwöger

Anderson, Daniel et. a. (2010) Geschichte der Literatur. Von der Antike bis heute, Potsdam: h.f.ullmann
Ranke Hermann (2006)
Das Gilgamesch Epos. Der älteste überlieferte Mythos der Geschichte, Wiesbaden: Marix Verlag
Schrott, Raoul (2001)
Gilgamesh, München / Wien: Carl Hanser Verlag