Musikmagazin - Wien, mica - music austria, Michael Woels, 03.11.2025

„ICH BIN SEHR GLÜCKLICH IN MEINER DOPPELROLLE ALS KOMPONIST UND CELLIST.“
Tomasz Skweres im Interviem mit Michael Franz Woels

Der polnisch-österreichische Komponist Tomasz Skweres lebt und arbeitet in Wien und Regensburg. Seit 2012 ist Tomasz Skweres Solocellist des Philharmonischen Orchesters Regensburg in Deutschland. Weiters ist er ein aktiver Interpret im Bereich zeitgenössischer Musik. Als Solist, Kammermusiker und Gast von Ensembles spielt er moderne Musik in renommierten Konzertsälen auf der ganzen Welt. Beim heurigen WIEN MODERN Festival gibt es von ihm eine abendfüllende Kammeroper – es musiziert das Ensemble PHACE – im Jugendstiltheater am Steinhof zu hören, sowie ein Streichquartett im Arnold Schönberg Center, interpretiert vom MIVOS QUARTET. Michael Franz Woels erfuhr mehr über die familiären Gründe, die den Komponisten immer wieder nach Japan führen, was sich hinter dem Namen „Unternehmen Gegenwart“ verbirgt und wie er sich sein Leben im hohen Alter als Musikschaffender vorstellt.

Meine erste Frage betrifft das Stück „Bonsho“, das im Rahmen von Wien Modern heuer vom Mivos Quartet aufgeführt wird. Was verbirgt sich hinter diesem Titel? Verraten Sie uns ein paar kompositorische Überlegungen?

Tomasz Skweres: Bonshō sind große, voll und profund klingende, verzierte Glocken in den buddhistischen Tempeln in Japan. Ihr Klang und vor allem die mystische, tiefgründige Atmosphäre bildet den Ausgangspunkt für meine Komposition und dominiert ihren Verlauf. Ich bin aus familiären Gründen mindestens einmal pro Jahr für ein paar Wochen in Japan, denn meine Frau ist Japanerin und unsere Kinder wachsen dreisprachig auf. Die japanische Kultur begeistert mich und ist mittlerweile für mich zu einer wichtigen künstlerischen Inspirationsquelle geworden.

Das Werk besteht aus vier gegensätzlichen Sätzen, bei denen besonders das Zeitempfinden eine ganz andere ist. Die oft überraschenden und plötzlichen Wechsel zwischen einer mehrschichtigen Struktur und einer homophonen, bei der alle Instrumente zu einem Organismus verschmelzen, sind für diese Komposition charakteristisch. Das Merkmal, das die äußerst unterschiedlichen Sätze verbindet, ist ein lamentierender Duktus, der immer wieder auftaucht – mal intim, mal extrem aufgewühlt – und somit an den spirituellen Charakter der Komposition anknüpft.

Regensburg und Wien. Darf ich Sie um einen radikal-subjektiven Vergleich aus der Perspektive eines Musikschaffenden bitten?

Tomasz Skweres: Es ist schwierig, die Städte zu vergleichen. Natürlich sind Wien als Millionenmetropole und Hauptstadt mehr große Events von Weltrang; und auch die Vielfalt des musikalischen Angebots ist klarerweise größer, selbstverständlich auch im Bereich der zeitgenössischen Musik. Aber Regensburg, gemessen an der Bevölkerungsgröße, hat im Bereich der Musik dennoch viel zu bieten: Das Staatstheater ist fast immer voll ausgelastet, bietet auch viel Zeitgenössisches an, die Alte-Musik-Szene und die Jazz-Szene sind bunt und lebendig. Was die freie zeitgenössische Musikszene betrifft, bin ich gerade dabei, als erster Vorsitzender des Vereins Unternehmen Gegenwart zur Förderung der Neuen Musik etwas frischen Wind zu bringen. Allgemein kann man sagen, dass es schon ansatzweise Interesse gibt, aber wir können und sollten noch viel machen.

Wien hat für mich persönlich den Wert, neue Impulse und Inspirationen zu empfangen. In Regensburg, da es hier noch viel weniger in diesem Bereich gibt, habe ich den Anreiz, etwas aufzubauen und mich als Vermittler und Animator des Kulturlebens zu betätigen.

Als Duo Skweres performten Sie gemeinsam mit Yui Iwata Skweres zeitgenössische Musik für Violine und Cello. Nach welchen Kriterien haben Sie die Stücke, die Sie im Oktober in der Alten Schmiede in Wien aufgeführt haben, ausgewählt?

Tomasz Skweres: Konkret dieses Programm, das wir in der Alten Schmiede präsentiert haben, ist eine Wiederholung der Konzerte in Polen und in Regensburg, ein Ergebnis eines Austauschprojektes zwischen den Städten Posen, Zielona Góra (Grünberg) und Regensburg. In diesem Fall wurden also verschiedene Komponist:innen beauftragt, für uns Werke zu schreiben. Wirklich selber auswählen konnten wir auf die Anfrage der Alten Schmiede ein Stück eines Wiener Komponisten und hier haben wir uns für ein Werk von Daniel Oliver Moser, dessen Musik mich begeistert und berührt und der es dringend verdient, viel mehr gespielt zu werden. Es gibt aber durchaus Programme, bei denen wir als Duo viel mehr Entscheidungsfreiheit haben. Natürlich bevorzugen wir dann Werke, die wir besonders lieben, die uns begeistern und die auch mit dem Publikum gut kommunizieren, aber sehr wichtig ist für uns immer die stilistische Vielfalt. Gerne bauen wir unsere Programme in Bezug zu einem sehr frei interpretierten Gedanken, einen Aspekt, der die Werke eines Konzertes verbindet und zu einem schlüssigen Event verschmelzen lässt.

Das heurige Festivalmotto von Wien Modern lautet: „The Great Learning“. Bezogen auf Ihre Arbeit als Cellist und Komponist: Welche wichtigen Erkenntnisgewinne hatten Sie in letzter Zeit in Hinblick auf das Instrument Cello und auf das Leben und Wirken als Komponist?

Tomasz Skweres: Ich bin sehr glücklich in meiner Doppelrolle als Komponist und Cellist, denn den künstlerischen Impulsen und Inspirationen, denen ich als Cellist beim Kontakt mit tollen Werken verschiedener Epochen begegne, bereichern meine Kreativität und mein Können als Komponist. Umgekehrt auch – der analytische Weitblick eines Komponisten ermöglicht mir eine vielschichtigere Interpretation als Cellist.

Allgemein inspirieren mich kreative, außergewöhnliche Menschen, die ich als Künstler immer wieder kennenlernen darf. In diesem Sommer habe ich eine wunderbare Zusammenarbeit mit dem polnischen, in Japan lebenden Pianisten Ignacy Lisiecki angefangen – das Musizieren mit ihm, das Kreieren einer spannenden und schlüssigen Interpretation, aber auch unsere Gespräche bereichern mein musikalisches Denken – so planen wir natürlich diese Zusammenarbeit langfristig fortzusetzen.

„Abendsonne“ ist ein weiteres Stück – aufgeführt vom Ensemble PHACE –, das es heuer von Ihnen bei Wien Modern zu erleben gibt. Das Libretto stammt von Kristine Tornquist vom sirene Operntheater, sie führt auch Regie. Wie sieht dieser Prozess der gemeinsamen Stückentwicklung aus?

Tomasz Skweres: Zuerst entsteht ein Libretto. Dann kommt natürlich die Frage auf, ob der Komponist mit dem Libretto etwas anfangen kann, ob es ihn inspiriert und ob er sich vorstellen kann, mit dem Libretto musikalisch ein starkes Statement zu setzen. Ich hatte da großes Glück, denn ich wollte eine Tragikomödie schreiben, ein Werk, in dem das Witzige, Ausgelassene jederzeit unerwartet in das Ernste, Dramatische kippen kann. Ich habe dieses Libretto von Kristine von Anfang an sehr gemocht. Im Laufe des Kompositionsprozesses musste ich kleine Änderungen im Libretto vornehmen, die den Inhalt und die Aussage nicht beeinträchtigen, die aber den musikalischen Fluss und die kompositorische Struktur unterstützen – es sind vor allem Wiederholungen mancher Sätze oder eine kleine Änderung der Reihenfolge bestimmter Aussagen der Darsteller. Bei allen diesen Fragen war ich immer in Kontakt mit Kristine, ob es aus dramaturgischer Sicht passt. Wenn die Komposition fertig ist, kommt für mich das Spannendste – ein Austausch der Ideen über das Werk mit der Librettistin und Regisseurin – über einzelne Szenen, an welchen Stellen erlaubt es die Musik, dass sich die Regie mehr Zeit nimmt usw.

Das Libretto von Kristine Tornquist ist inspiriert von dem Buch „Pornografia“ des polnischen Exil-Schriftstellers Witold Gombrowicz. In den 1960er Jahren war es ein Skandalbuch, ein Tabubruch durch den thematisierten Voyeurismus einer älteren Generation auf die erotischen Experimente von Adoleszenten. Haben Sie dieses Buch zur Vorbereitung gelesen? Hat es Ihre Art der Komposition für die Kammeroper „Abendsonne“ beeinflusst?

Tomasz Skweres: Nein, das Buch habe ich nicht gelesen, ich habe auch erst im Nachhinein erfahren, dass das Libretto eine Verbindung zu dem Buch hat. Ich kenne aber den Stil von Gombrowicz und einige seiner Werke – das Skurrile, Absurde, welches entfremdend wirkt und gleichzeitig zum Nachdenken zwingt, ist sowohl in seinen Werken als auch bei „Abendsonne“ von Kristine Tornquist allgegenwärtig – genau das liebe ich ganz besonders.

Hier ein Ausschnitt aus dem Exposé zur Kammeroper „Abendsonne“: „Das Alter ist ein Exil inmitten der Lebensheimat. Es wird in medizinische Begriffe gefasst, in soziologischen Problemzonen verortet, mit dem Fluch der Unsichtbarkeit belegt. So scheint es, als hätte das Leben der Alten keinen Eigenwert mehr, sondern würde nur unter dem Aspekt betrachtet, was ihr Leben für ihre Umwelt wert ist. Wie wird es in einer Zeit, in der das Alter demographisch an Gewicht zunimmt, aber an Achtung abnimmt, weitergehen? Und wie könnte es anders sein?“ Was sind Ihre Gedanken dazu?

Tomasz Skweres: Ich glaube, dass das Problem des Identitätsverlustes eines Menschen im Alter in einer Struktur wie einem Seniorenheim sehr deutlich wird, wo man als alt abgestempelt wird und dann werden dieser Person gewisse Eigenschaften automatisch zugeschrieben. Es werden aber soviel ich weiß, andere Konzepte der Wohnorte für ältere Menschen gesucht und ausprobiert, wo sie ihre Persönlichkeit und Individualität behalten können und trotzdem die notwendige Unterstützung bekommen – wie zum Beispiel Verbindungen der Seniorenheime mit Kindergärten oder das Konzept des betreuten Wohnens.

Zum Schluss noch einmal ein paar gesellschaftskritische Überlegungen aus dem Exposé zum Libretto von Kristine Tornquist: „Vom Standpunkt der gewünschten immersiven Gesellschaft gilt es nachzufragen, was die Vorteile, die Fähigkeiten und Funktionen des Alters sein können. Das Altersheim hingegen ist wie der Kindergarten eine blosse Aufbewahrungsstätte derer, die den reibungslosen Ablauf stören. (…) Dass es für das Alter ein neues Konzept braucht, bemerken die meisten erst, wenn sie selbst alt werden. Dann ist es zu spät. Die Pointe ist verpasst, die Geschichte ist lange, bevor sie endet, schon vorbei …“ Wie blicken Sie als junger Musiker auf dieses Thema, haben Sie sich schon überlegt, was Sie als Musiker, Komponist im hohen Alter leben möchten?

Tomasz Skweres: Die Frage knüpft an das, was ich bei der letzten Frage gesagt habe, an. Was mich persönlich betrifft, kann ich nur hoffen, dass es mir die Gesundheit, besonders die psychische Gesundheit, im Alter erlauben wird, genauso wie jetzt in meine musikalische Welt während des Komponierens oder Übens am Cello mit richtiger Freude und Neugier einzutauchen. Denn für mich ist meine musikalische Beschäftigung tatsächlich wie meine eigene Welt. Konzerte oder Aufführungen sind dann Momente, wo sich meine Welt mit der realen Welt verbindet, wo es einen Austausch gibt und es zu einer Wechselwirkung kommt. Diese Momente sind die spannendsten, ich hoffe, es bleibt für mich auch im Alter so.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

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Termine:

Tomasz Skweres und Kristine Tornquist: Abendsonne
Montag, 10. November 2025, 19:30 Uhr
Jugendstiltheater am Steinhof
weitere Termine: 12.–17. November 2025
Produktion sirene Operntheater
Kooperation Wien Modern

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