Das Gespräch der Hunde - Dramaturgische Überlegungen

Worte und Wirklichkeiten

Der Pechvogel Berl Landfahrer kann durch ein Versehen beim kabbalistischen Zaubern mit einem Mal die Sprache der Hunde verstehen. Oder der unglückliche Delinquent bildet sich das in seiner letzten Nacht vor dem Henker nur ein, wie seine Mitmenschen später mitleidig vermuten. Der arme Berl Landfahrer hat in dieser Nacht seinen Verstand verloren - das heisst, die geläufige Unterscheidung zwischen der Welt äusserer Wirklichkeiten und jener der Sprache. Das Geheimnis hinter der Wirklichkeit ist die Sprache. Im Hebräischen bedeutet jeder Buchstabe eine Zahl, jedes Wort eine komplexe Kombination, jeder Satz eine machtvolle Formel, mit der die ganze Welt aus dem Gleichgewicht zu bringen ist, das Alphabet wird zu einem kosmischen Chiffre-System.

Das ausgesprochene Wort ist also das Scharnier zwischen der Materie und dem Geist. Ein falscher Buchstabe eröffnet Berl Landfahrer eine neue Welt, in der Hunde sprechen und steinreiche Kaufleute Gold vergraben.

„Welch eine Nacht der Unwissenheit, in der wir leben!“ schreibt Perutz in seiner Erzählung „Die Geburt des Antichrist“. Es ist der Stossseufzer eines aufgeklärten Menschen, der sich nach Eindeutigkeit und Klarheit sehnt und sich eingestehen muss, dass es kein Schwarz-Weiss gibt. Sondern nur Nebel und Grauwerte.

Und doch sind die Nebel und Grauwerte Perutz´ Lieblingsfarben. Wie E.T.A. Hoffmann, auf den sich Perutz gerne bezog, oder wie den fast gleichaltrigen Kafka, an dem er oft gemessen wird, lässt er den Leser an der Wand lauschen und durchs Schlüsselloch auf seine Geschichten spähen. Seine Literatur gauckelt keine Nähe vor, so dass der Leser nie intim werden kann mit den Figuren und Zusammenhängen, sondern sie als Wesen aus der Welt der Worte verstehen muss, für die andere Regeln gelten.

Aber auch seine Figuren lässt er nie ganz begreifen, wie ihnen geschieht. Er führt sie blind durch ein rätselhaftes Schicksal, das sich aus Prinzip nicht durchschauen lässt: zu dicht ist das Gewebe, in dem die Schussfäden der Interpretation die Kettfäden der Realität durchkreuzen. Doch im Gegensatz zu Kafka kippt Perutz die Realität gerade nur so weit, dass sie gerade noch nicht fällt. So fasst er das Ungefähre und Ahnungsvolle in eine ausgeklügelte Kausalität, wie auch Märchen sie aufweisen: „Ich bemühe mich immer, so zu schreiben, wie meine Großmutter mir Geschichten erzählt hat.“

Leo Perutz jedenfalls sagt von sich: “Ich bin das ganze Leben lang vom Prag meiner Kindheit nicht losgekommen. Ich ging immer dem Phantom des Prager Ghettos nach und habe es überall gesucht.”

Zelebrierte Kausalität verbinden sich mit dem Ungefähren, dem Ahnungsvollen. Nicht nur in dieser Novelle, die auf einer jüdischen Prager Sage beruht, befindet sich Perutz in der Welt der Sage, des Märchens, wo irreale und absurde Vorgänge in einer logischen Dramaturgie geordnet sind.

«In mir ist eine Schraube locker geworden oder eine Feder gebrochen, die Schraube oder Feder, die sieben Jahre (1938-1945 ) lang meine Spannkraft, meinen Optimismus, mein Vertrauen in die Zukunft aufrecht und in Gang erhielt, die mich Nacht für Nacht am Radio auf Nachrichten, gute und böse, mit unbeirrbarer Zuversicht horchen ließ.»

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