Die Pflanzen

Die eigentlichen Bewohner der Erde sind vor allem und namentlich diese Pflanzen. Jede von ihnen ist mit ihrer besonderen Kraft ausgestattet und führt ihr eigenartiges Leben. Ob sie die Fähigkeit haben, etwas aufzufassen, wage ich nicht zu sagen. Hingegen scheint ihnen, was Nahrung und Fortpflanzung anbelangt, eine Art Begehren inne zu wohnen, sie freuen sich über angenehmes Wetter, gedeihen unter günstigen Umstanden, erfrischen sich an Regen und Tau, erstarren in der Kälte, sie halten bei Nacht eine Art Schlaf und nehmen dann eine andere Gestalt an, sie werden matt vom Hunger. Widerstreben legen sie jedoch durch keinerlei Anzeichen an den Tag. Daher kommt es, daß man mit Pflanzen kein Mitleid hat.
Carl von Linné zitiert in Leben Töten Essen. Anthropologische Dimensionen. Hg. Heike Baranzke u.a. Stuttgart und Leipzig 2000

Sie drücken sich nur durch ihre Stellungen aus. Da ihnen Gebärden nicht gegeben sind, vervielfachen sie lediglich ihre Arme, ihre Hände, ihre Finger — wie Buddhas. Dergestalt müßig, denken sie ihre Gedanken bis zu Ende. Sie sind reiner Ausdruckswille. Nichts in ihnen selbst ist ihnen verborgen, sie vermögen keinen Gedanken geheimzuhalten, sie entfalten sich gänzlich, aufrichtig, ohne Vorbehalt. Da sie müßig sind, vertreiben sie sich die Zeit damit, die eigene Form zu komplizieren, ihren Körper im Sinne der größtmöglichen analytischen Komplexität zur Vollendung zu treiben. Wo sie geboren werden, und sei es noch so sehr im verborgenen, beschäftigen sie sich mit nichts anderem als mit der Vervollkommnung ihres Ausdrucks: sie treffen ihre Vorbereitungen, sie schmücken sich, sie warten darauf, daß man sie liest.
Francis Ponge, Lyren. Ausgewählte Werke. Frankfurt am Main 1965. Darin: Im Namen der Dinge, Vorreden [Proëmes], Lyren

Mit demselben Rechte, als man sagt, daß die Menschen und Tiere die Früchte des Feldes essen und fressen, kann man in der Tat sagen, daß die Früchte des Feldes die Menschen und Tiere wieder fressen; denn alles, was von Menschen und Tieren abgeht, geht wieder in die Pflanzen über und muß in sie übergehen, damit sie wachsen und gedeihen. Sie zerreißen den Menschen nur nicht so bei lebendigem Leibe, wie wir es mit ihnen tun. Sie warten auf das, was von uns abgeht, bis es zu ihnen kommt, erwarten unsern Tod, ehe sie sich ganz unsrer bemächtigen. Diese Geduld wird ihnen nun als träge Unempfindlichkeit und tote Passivität ausgelegt; aber mit Unrecht, denn daß sie doch wirklich nicht unempfindlich gegen all das sind, beweisen sie ja eben dadurch, daß sie all das, wenn es an sie kommt, doch gierig annehmen und freudig dadurch wachsen. Es hängt nur diese Geduld überhaupt mit ihrem Gebanntsein an die Scholle und ihrem sozusagen weiblichen Charakter den Tieren gegenüber zusammen. Wartet doch auch eine Königin, daß man ihr bringe, was sie braucht; sie ist freilich sicher, daß sie nicht zu warten braucht, viele Hände sind von selbst für sie geschäftig. So wartet nun die ganze Pflanze, daß des Tieres Leib sich auflöse, ihren Leib zu bauen; die Blume wartet, daß das Insekt zu ihr komme, ihr bei der Befruchtung zu helfen; der Same wartet, daß der Säemann ihn ergreift und ins Land säet-das Insekt und der Mensch tun es ja sicher, freilich zunächst ihretwegen, aber die Natur hat die Insekten und Menschen eben so eingerichtet, daß das ihretwegen zugleich zu einem ihretwegen wird.
Gustav Theodor Fechner, Nanna oder Über das Seelenleben der Pflanzen. In: G. T. F., Das unendliche Leben. München, zuerst 1848