Der Standard, 11.11.2025, Christoph Irrgeher
Nicht einmal auf die Standfestigkeit des kleinen Christbaums ist hier Verlass. So liebevoll ihn die Pflegerin Mira mit Kugeln und Girlanden behängt, den Wipfel mit Schmuck versieht: Immer wieder sackt die Mini-Tanne in sich zusammen.
Inmitten eines trostlosen Umfelds wirkt der Baum dennoch vergleichsweise robust – arbeitet Mira doch im Altersheim Abendsonne. Drei Greise granteln hier darüber, dass "die Jugend an der Jugend vergeudet" sei, und ertränken ihren Hinfälligkeitsfrust im Rotwein. Der Tristesse nicht genug, erhält einer von ihnen die Todesdiagnose: Pankreaskrebs im Endstadium. Alles vorbei für Heribert Büxenstein? Nein, denn da steckt ihm plötzlich eine okkulte Mitbewohnerin ein Büchlein zu, und das verheißt einen Ausweg.
Seltsam, aber so steht es geschrieben: Wird im Augenblick des eigenen Todes im Nachbarraum ein Kind gezeugt, steht der frisch entleibten Seele ein neues Gefäß zur Verfügung – und einer Wiedergeburt nichts im Wege. Und Moment einmal: Wohnt die fesche Mira nicht ohnedies im Heim und hat bereits ein Auge auf ihren neuen Kollegen Mirko geworfen? Ließen sich die beiden nicht als Heriberts "Eltern" verkuppeln?
Wer meinen sollte, dieser Plot sei doch reichlich hanebüchen: Die Tragikomödie Abendsonne, am Montag vom Sirene Operntheater aus der Taufe gehoben, legt es genau darauf an. Librettistin Kristine Tornquist (auch Regie) hat sich offenkundig ein Beispiel an Spike Jonzes Filmhit Being John Malkovich genommen: Hier wie dort schwankt die Handlung zwischen Comedy und Mystery und mündet in einen Seelenwanderungsversuch.
Anders als im Kino trifft in Abendsonne aber nicht jede Pointe ins Surreal-Schwarze. War das nun lustig – oder bloß lachhaft? Die Frage stellt sich im Lauf von eineinhalb pausenlosen Stunden im Jugendstiltheater immer wieder neu. Erheiternd: das Oldie-Trio, das unter der Leitung von Johann Leutgeb als zäher Zentralfigur eisern seinen Unsterblichkeitsplan verfolgt; eher halblustig die Auftritte von Hausarzt und Direktorin, einem seelenkalten, geldgeilen Duo infernale. Putzig dafür die kleinen Choreografien, mit denen die Sympathieträger Mira und Mirko (Ewelina Jurga, Vladimir Cabak) im Rahmen eines schlichten Bühnenbilds – im Wesentlichen fünf Türen, eine dösende Seniorin und ein Sternenhimmel – allmählich zusammenfinden.
Geist im Bäumchen
Die Musik? Klingt unverhofft soft dafür, dass diese Oper im Festivalrahmen von Wien Modern läuft. Komponist Tomasz Skweres setzt auf filmmusikalische Effekte, aquarellierte Klangflächen, Gruseleffekte aus der Avantgarde-Ecke oder eine reizvoll verwischte Tonalität – und beschert Textdeutlichkeit, indem er die Bühnenfiguren sprechen oder sprechsingen lässt. Keine Partitur, die das Musiktheater neu erfinden würde – doch eine, die sich einer Handlung effektvoll unterordnet und vom Ensemble Phace (Leitung: Antanina Kalechyts) klangsinnlich umgesetzt wird. Zugegeben: Dass sich am Schluss auch noch ein Geist in dem armen Christbäumchen einnistet, ist vielleicht ein bisschen too much. Das Premieren-publikum hat sich streckenweise dennoch halb totgelacht – und dankt letztendlich entsprechend.
Danke, eine Kritik, die genau mein Empfinden trifft.
Fritz Brause





























