21.07.2018, Der Standard, Michael Cerha

"Jeanne d'Arc" zwischen Heiligkeit und Fanatismus. Beim Carinthischen Sommer wurde die Kirchenoper "Jeanne d’Arc" von Kristine Tornquist und Johannes Kalitzke uraufgeführt

Holger Bleck, im fünften Jahr Intendant des Carinthischen Sommers, hat aus der Budgetnot des Kärntner Festivals in Villach und Ossiach eine Tugend gemacht und die Kirchenoper neu erfunden: Jetzt geht als Kirchenoper auch durch, wenn ein graduierter Kirchenmusiker die Klangkulisse zu einem Stummfilm komponiert. So geschehen durch Johannes Kalitzke, der Carl Theodor Dreyers hochexpressionistischen Streifen Jeanne d’Arc von 1928, der im Congress Center Villach über die Leinwand flimmert, um kraftvolle, häufig kataraktartig absinkende, sehr rhythmische Klangkaskaden ergänzt.

In welcher Kirche so etwas jemals nachgespielt werden könnte, steht zwar in den Sternen, aber grandios ist es allemal, was der Dirigent und Komponist Kalitzke, der selbst am Pult steht, zur klanglichen Intensivierung der horrenden Bildfolgen Dreyers eingefallen ist. Allerdings ist diese Arbeit nichts für zartbesaitete Seelen, auch wenn Kalitzke mit den absteigenden Skalen des Finales eine "innerliche Essenz tröstlichen Verschwindens" geliefert haben will.

Innerlich ist überhaupt ein Stichwort des Abends. Zeichnet schon Dreyers Meisterwerk die Handlung, das heißt, den historischen Prozessverlauf von 1431, überwiegend anhand des Mienenspiels der Richter und Kirchenmänner nach, wie die Angeklagte es erlebt haben könnte, so ist die Musik bemüht, die Seelenzustände dieser Angeklagten hörbar zu machen, als ein sich immer weiter entfernender, gespenstischer Widerhall der Wirklichkeit.

Eine dramaturgische Auflockerung bilden drei Szenen mit realem Personal: Im Eingang der Produktion stößt Johanna, hellhörig in Bezug auf das Leid der Welt, auf die tauben Ohren ihrer Eltern. Zur Mitte wird sie unter dem Passwort "Paradies" in eine fundamentalistische Aktivistengruppe aufgenommen. Am Schluss wird für die Verbrennende, die sich auf eine göttliche Mission beruft, von den Amtsträgern aber längst als radikale Terroristin eingestuft worden ist, ein "Wispern von Hoffnung hörbar, dass dieselbe Sonne alle weckt".

Kalitzkes Jeanne d’Arc ist keine Kirchenoper im herkömmlichen Sinn, aber schon radikale geistliche Musik. Sie handelt von der unscharfen Grenze zwischen Heiligkeit und Fanatismus. Sie wäre nicht denkbar ohne unsere zur Selbstverständlichkeit gewordene Begegnung mit dem Terrorismus jeglicher Spielart. Diese Jungfrau wird nicht heiliggesprochen. Noch viel weniger aber werden es diejenigen, die Jeanne nicht verstehen oder die sie lieber heute als morgen tot sehen wollen, weil sie Männerkleider bevorzugt.

In den drei Liveszenen agieren eine stimmlich hochpräsente Michaela Selinger als unbeugsame Johanna und zwei überzeugend verschreckte einfache Leute (Johanna Krokovay und Klemens Sander als Mutter und Vater). Zu den musikalischen Stützen des gesamten Abends zählen neben dem Kärntner Sinfonieorchester Klaus Kuchling an der Orgel, der Philharmonia Chor Wien sowie Mitsugu Hoshino (Celesta/Samples).

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