Der Maler Brabanzio - Dramaturgische Überlegungen
Erinnern und Erkennen
Stefan Heidenreich schreibt über die Neudefinition der Malerei in der Renaissance: „Der Namenswechsel vom Maler zum Künstler begleitete ein langanhaltender Kampf um den Wert der Bilder und die Rolle der Malerei. Wenn heute die Maler und Bildhauer der Renaissance ganz fraglos als Künstler betitelt werden, verschleiert die Bezeichnung einen Durchsetzungskampf, der genau um diesen Titel entbrannte.“ Damit ist der Kern dieser Novelle von Perutz auf den Punkt gebracht. Die beiden Besucher im Atelier - Rudolf II und Mordechai Meils - suchen nicht denselben Brabanzio auf.
Meisl besucht einen Handwerker des Abbildens, um ein Gebrauchsbild zu bestellen - eine Erinnerungshilfe an seine schon lange verstorbene Ehefrau Esther, deren liebes Gesicht er selbst noch genau vor seinem inneren Auge hat. Heute würde er Abzüge eines Fotos machen lassen, weniger um das innere Bild festzuhalten, mit dem er euphorisch seinen Alltag mit ihr beschreibt, sondern als eine Stimulans der Erinnerung. Der reiche, aber unglückliche jüdische Kaufmann Meisl ist bereit, für diese handwerkliche Dienstleisung grosszügig zu bezahlen.
Rudolf hingegen besucht einen Künstler. Er tut es mit der Hochachtung, die zuvor den sieben antiken Künsten vorbehalten war. In der Malerei von Brabanzio sucht er Erkenntnis, die ihm die Wirklichkeit näher bringt. Der kleine Garten, den er auf dem Weg ins Atelier durchquert, fällt ihm gar nicht auf, erst auf einem kleinen Bild von Brabanzio nimmt er dessen Schönheit wahr - alleine ist er zu der Erkenntnis nicht fähig gewesen, dass auch im Schäbigen, Unscheinbaren das Grossartige zu finden ist. Solche Vermittlung zu Gefühlen, die er ersehnt, aber nicht fassen kann, erwartet er von der Kunst. Allerdings will der stets in Geldnöten befindliche Kaiser diese als grossartig erkannten Kunstwerke mit einem Trick billig an sich bringen, deshalb tritt er verkleidet in den ärmlichen Raum ein.
Perutz entwickelt die Dynamik seines Romanes „Nachts unter der Steinernen Brücke“ aus der Gegenüberstellung dieser beiden einander diametral gegenüberstehenden Männer. Der eine hat das Geld - der andere die Verwendung dafür. Der eine ist als Jude fast rechtlos - der Kaiser fast unbegrenzt mächtig. Den einen liebt Esther als Ehefrau tagsüber - den anderen als Traumbild nachts. Dreimal lässt Perutz die beiden Widersacher und Geschäftspartner aufeinandertreffen, ohne sich gegenseitig zu identifizieren. Auch im Atelier von Brabanzio erkennen sie sich nicht, weil sie auf die Bilder schauen statt auf einander. Doch über das Bild von Esther, das Meisl beschreibt und Rudolf nach dieser Beschreibung zeichnet, kommen sie sich sehr nahe. Brabanzio, der Künstler, ist - obwohl er „nichts zustande bringt“, weil er eines anderen Menschen Erinnerungen und Gefühle nicht portraitieren kann - als Mittler tätig. Als Mittler zwischen Rudolf und Meisl, zwischen Meisl und seinem Wunsch nach einer Reliquie, zwischen Rudolf und seinem Wunsch nach einem tiefen Gefühl.
Das Material und Kunstfertigkeit eines Bildes ist unwesentlich verglichen mit den Gefühlen, die sie wecken. Wenn es um konkrete persönliche Gefühle geht, tut es eine kleine Skizze eines Laien ebenso wie die Ölmalerei eines Künstlers. Im Grunde ist es auch das, was Brabanzio versucht, Meisl zu erklären: Technik ist nichts, die innere Anschauung ist das Wesentliche.
Nur gerecht, dass Brabanzio davon profitiert. Die 8 Gulden, die er für eine kleine Zeichnung erhält, die er nicht selbst gezeichnet hat, lassen ihn freudig auf eine Reise nach Italien aufbrechen. Typisch Perutz schliesst die Novelle allerdings pessimistisch, wenn man in der Rahmenhandlung erfährt, dass es des Künstlers letzte Reise war, die ihn in den Tod und ins Vergessen führen sollte.
Der historische Rudolf II versuchte sich tatsächlich auch selbst als Künstler, er bildhauerte und malte, vor allem aber goldschmiedete er. Es gibt Zeichnungen, die er signiert hat.