Sisifos Notizen

Über Sisifos' Frieden bricht ein Krieg über ihn herein. Sein Haus wird zerstört, seine Habseligkeiten geraubt, seine Kleidung zerfetzt und er gefoltert und verwundet. Die Soldateska lässt ihn verwundet oder sterbend zurück. Ein Wunder, dass er überlebt. Als er wieder erwacht, findet er vom Krieg alles vernichtet. Er sammelt sich und die Trümmer seines Lebens ein und beginnt unter Anstrengungen den Wiederaufbau. Nach und nach erst erklimmt er den Gipfel, fühlt er sich wieder sicher. Er gewöhnt sich an den Frieden. Doch kaum hat er den Krieg ganz vergessen, rollt er erneut wie eine Lawine über Sisifos, zerstört erneut alles, lässt ihn wieder als Wrack im Chaos zurück. Und erneut muss er restaurieren, heilen, vergessen.

Sisifos befindet sich in einem Kreislauf zwanghafter Wiederholung. Er fällt bergab, es zieht ihn bergauf, dann wird er wieder hinuntergestossen und schleppt sich wieder hoch und immer so weiter. Aus der Distanz der Beobachter ist die Sinnlosigkeit deutlich erkennbar. Die Geschichte schätzt 14.400 Kriege, die die Menschheit etwa 3,5 Milliarden Leben gekostet hat - jeder 30. Erdenbürger ist dieser rätselhaften Schwerkraft der Menschheit zum Opfer gefallen.

Doch man möchte zu dieser endlosen Kette der Kriege nicht Geschichte sagen. Geschichten erzählt man, um eine Erkenntnis zu gewinnen oder weiterzugeben. Denn eine Geschichte hat einen Anfang, ein Ende und dazwischen einen Sinn. Sinn ist die semantische Figur einer Schlussfolgerung. Eine Schlussfolgerung - das steckt schon im Wort - setzt einem Geschehen einen Schlusspunkt, an dem sich etwas ändert. Doch die menschliche Geschichte aus Kriegsgebrabbel, Kriegsgeschrei und Kriegsgeheul hat keinen Sinn. Denn Sisifos und sein Kontrahent, die Schwerkraft, greifen unbekehrbar und unbelehrbar ineinander wie Zahnräder einer Megamaschine, die sich dreht, ohne etwas zu erzeugen.

Text / Regie

Noch ohne genaueres über den Text sagen zu können, stelle ich mir vor, dass der 12köpfige Chor einen Soldatentrupp verkörpert, doch quer durch die Geschichte, z.B. eine Söldnertruppe aus dem 30jährigen Krieg, dann eine preussische Einheit aus den napoleonischen Kriegen, ein Trupp aus dem Ersten Weltkrieg, eine moderne, nicht länger durch nationale Uniformen erkennbare Terrorschwadron, etwa wie den IS...

Doch will ich so weit bei Sisifos bleiben, dass man es einfach und simpel dabei belässt, wie das Unglück immer wieder alles überrollt und wegspült. Der Krieg wie die Schwerkraft des Menschseins. Keine differenzierte Analyse (die kann man zum Teil als Kriegstheorie in den gesprochenen Text der Beobachter verlegen), sondern reines Schicksal, Naturgesetz.

Ist es im Ganzen eine Maschine, die Soldaten und Zivilopfer miteinander verzahnt - und Sisifos der, der den Krieg nur als Opfer erlebt? Oder ist Sisifos so, dass er genausogut selbst Soldat sein könnte, eventuell nur die falsche Uniform trägt und deshalb hingemetzelt wird. Sisifos ist Opfer des Krieges, doch man könnte überlegen, ob nicht eine Verteidigungshaltung oder Neugier ihn auch dem Krieg entgegentreibt.

Möglich ist eine Art Collage aus Texten zum Krieg (Clausewitz) oder ein ganz einfacher Text, der wie ein Kriegslied aus Beschwörungen besteht. Und Sisifos' Text?

Eigentlich fände ich schön, wenn es sich bei den gesungenen Texten, vor allem den Soldatentexten, bei jedem Durchlauf um "dasselbe alte Lied" handeln würde - zwar sind die Uniformen und die Todesarten anders, aber die Sache bleibt ja gleich.

Das Sinnlose (aus der Zeitung)

In einem deutschen Spital wird ein syrischer Kämpfer, der bis auf die Knochen verwundet ist, in unzähligen Operationen zusammengeflickt, behandelt und das zerstörte Gesicht wiederhergestellt. Er kehrt nach Syrien zurück und stirbt eine Woche darauf in den Kampfhandlungen.

Ist es das Böse oder das Unglück?

Die Naturgesetze-Soldateska stehen unter einem strengen Befehl eines nie sichtbar werdenden Generals (oder Königs), aber was sie tun, erzeugt Chaos und ist bei aller Strenge und militärischem Drill und Ordnung wüst, unberechenbar, destruktiv und chaotisch.

Ist auch Sisifos Soldat? Träger einer anderen gegnerischen Uniform? (Phantasiekostüme, angelehnt an die napoleonischen Kriege.)

Was zerstört die Soldateska? Die Zivilisation. Den zivilen Anteil des Menschenlebens. Den also müsste Sisifos verkörpern: Vernunft, Konstruktives, Lösung, Verbesserung, Erhalt, Aufbau, Fortschritt im philosophischen, technischen und materiellen Sinn.

Sisifos-Gedanken 27.12.2014

* Die Zeit nicht verstreichen lassen (Udo Jürgens), auspressen wir eine Zitrone und dann ist sie doch verstrichen.
* Die Zeit sparen, die man ausgeben würde? Heisst sie verlieren.
* Nichts Abstraktes. Nichts Allegorisches. Nichts Altphilologisches.

Kristine Tornquist | Zeichnungen von Kristine Tornquist