25.11.2018, Tiroler Tageszeitung, Wolfgang Huber-Lang (APA)

Wien Modern: Erfolgreicher Stapellauf für „Das Totenschiff“

Wien (APA) - Eine Uraufführung mit Atmosphäre: Im Rahmen von Wien Modern ist am Samstag „Das Totenschiff“ im stimmungsvollen Saal des „Reaktor“, des im Vorjahr als Veranstaltungsort reaktivierten ehemaligen Etablissements Gschwandner in Wien-Hernals, vom Stapel gelassen worden. Und die Jungfernfahrt war kein Schlag ins Wasser: Man wünscht diesem „Totenschiff“ das Anlegen an weiteren Konzert- und Opernhäusern.

Die für das sirene Operntheater geschriebene neue Song-Oper des 1956 geborenen Oskar Aichinger, der als Pianist und Improvisator an der Schnittstelle von Jazz und Neue Musik tätig ist und sich als „performing composer“ versteht, hat alle Zutaten für eine erfolgreiche Weiterfahrt auf den unruhigen Wellen des zeitgenössischen Musikbetriebs. Die Vorlage, der von Kristine Tornquist zu einem Libretto umgearbeitete 1926 erschienene Roman „Das Totenschiff“ von B. Traven, beschreibt Vorgänge, wie sie aktueller nicht sein könnten: Der Heizer Gale verliert mit seinen Papieren auch seine Identität und wird von den Behörden hin- und hergeschickt. Von Nutzen ist er nur noch jenen, die schutzlose Billigarbeitskräfte für ihre illegalen Unternehmungen benötigen.

Dafür hat Aichinger, der mit „Der entwendete Taler“ nach Leo Perutz bereits eine Kammeroper in seinem Oeuvre-Katalog stehen hat, eine eingängige, bei Jazz und Swing Anleihen nehmende Musik geschrieben, die den Singstimmen viel Platz zur Entfaltung gibt. Er habe bei der Arbeit die Kompositionen von Kurt Weill und Hanns Eisler im Hinterkopf gehabt, sagt Aichinger. „Es ist eine Lust, heute zu komponieren, keine Qual“, lautet eine seiner Notizen dazu, „der Sog des Dramatischen darf nicht gestört werden; Singstimmen, Singstimmen und noch einmal Singstimmen, sie sind das Allerwichtigste in der Oper“. Und: „Emotion ohne plattes Sentiment.“

Mit diesem, Gehör und Gehirn des Publikums gleichermaßen ansteuernden Konzept, bleibt die Aufführung die vollen 100 Minuten auf Kurs. Jury Everhartz formt mit seinen neben der Bühne postierten und mit einigen zusätzlichen Blechbläsern verstärkten Musikern das liquide Material, in dem sich das siebenköpfige Sängerensemble bewegt wie der sprichwörtliche Fisch im Wasser. Gernot Heinrich vertraut als Protagonist Gale nahezu stoisch dem Schicksal und der Musik und vermeidet - ganz im Sinne Aichingers - jegliches Pathos. Johann Leutgeb singt eindringlich seinen Schicksalsgenossen Stanislaw. Bernhard Landauer, Richard Klein, Clemens Kölbl und Horst Lamnek sind u.a. wechselnde Vertreter von Behörden und Geschäftemachern, die dem einfachen Arbeiter immer wieder im leichtfüßigen Tanzschritt übel mitspielen.

Kristine Tornquist reichen in ihrer zurückhaltenden Inszenierung oft kurze choreografische Einlagen, um die nötigen Szenen und Begegnungen zu etablieren. Als attraktives „Schicksal“ im weißen Kleid lässt sie die Sopranistin Romana Amerling (deren Lieder zu den Höhepunkten des Abends gehören) immer wieder auf die Spitze eines Mastes klettern, mit dem Bühnenbildnerin Mirjam Mercedes Salzer den Saal ohne großen Aufwand in maritimes Ambiente taucht. Von da oben beobachtet sie in aller Ruhe, wie Gale, der zuletzt auf der „Empress of Madagaskar“ als Kollateralschaden in einem an die „Lucona“ erinnernden Versicherungsfall geopfert wird, am Ende untergeht. Assoziationen zu den vielen Ertrinkenden unserer Tage, denen Behörden in Negierung von See- und Menschenrecht die Hilfe verweigern, stellen sich ganz von selbst ein.

Mit diesem „Totenschiff“ hat die freie Opernszene Wiens wieder ein deutliches Lebenszeichen von sich gegeben.

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