Martina Pippal: Sieben Bilder

Sieben Bilder zu den sieben Kammeropern des Festivals Die Verbesserung der Welt

Die über Jahrhunderte betriebene Modernisierung Europas, die jene der ganzen Welt antrieb und -treibt, scheint keinen Platz mehr gelassen zu haben für ethische Forderungen wie jene, die in den „Werken der Barmherzigkeit“ erhoben werden: Der jüdische Wanderprediger und Lehrer Jesus von Nazareth hat – laut der frühesten, um 80/90 n. Chr. über ihn verfassten Biographie – die Werke der Barmherzigkeit (Mt 25,34-48) gepriesen und sie als den Schlüssel zum postmortalen Eintritt in das Himmelreich definiert. Er tat dies, so sein Biograph, aufgrund des Theorems, dass sämtliche caritativen Taten eigentlich immer an ihm, Jesus, vollzogen würden. Als der eigentliche Empfänger der Werke fungiere er als das Tor zum ewigen Leben.

Gewaltlosigkeit und Nächstenliebe hatte schon davor der jüdische Gelehrte Hillel der Ältere, ein Zeitgenosse Jesu, gelehrt. Und im Judentum wird Barmherzigkeit bis heute als tätige Nächstenliebe verstanden; erst durch barmherziges Handeln würde der/die Nächste zum/zur Nächsten gemacht (Käte Hamburger, 1985). Barmherzigkeit, also Mitgefühl und daraus resultierendes Tun, sind auch Forderungen im Islam, Hinduismus und Buddhismus. Und sie hat auch im agnostischen Raum ihren fixen Platz. Oft noch mehr, weil hier keine religiösen Grenzen überwunden werden müssen.

Zum Christentum bekennt sich heute ein schwaches Drittel der Weltbevölkerung. Wo sich die sozioökonomischen Lebensumstände im Hier und Jetzt verbessern, sinkt freilich die von Jesus genährte Belohnungserwartung: Die Hoffnung auf ausgleichende Gerechtigkeit in Form dereinstiger seliger Weiterexistenz im Himmelreich verliert ihre Relevanz. Generell ist in den aufgeklärten demokratischen Gesellschaften an die Stelle des Apells, barmherzig zu sein, die Politik getreten: Durch finanzielle Umschichtungen, Bildungs- und damit soziale Aufstiegsangebote sowie ein funktionierendes Gesundheitssystem sollen Spannungen ausgeglichen und eine funktionierende, ja prosperierende Gesellschaft gewährleistet werden. Hat Barmherzigkeit, wie sie in den großen Religionen und in der Ethik schlechthin gefordert wird, also überhaupt noch einen Auftritt in dieser Welt?

Sieben Werke der Barmherzigkeit bilden die Metathemen für die sieben Opern im Rahmen der Serie „Die Verbesserung der Welt“. Sie sind Anknüpfungspunkte, Kontrastfolien und Widerhaken. An das Bibelwort anknüpfend, damit kontrastierend oder den Widerhaken sich aus dem Fleisch reißend vermessen und verhandeln sie unsere Welt, wie sie ist. Nicht, wie sie sein soll. Diese Kulturarbeit geschieht in einem Raum, dessen Boden durch die sich permanent ändernde Realität schwankt und der durch die tradierten Symbole im Gleichgewicht gehalten werden soll (Slavoj Žižek, 2014), durch eben diese – aus ihrer Verankerung gerissenen – Symbole aber erst recht wieder ins Schwanken gerät.

Martina Pippal, weitgereiste Künstlerin und Kunsthistorikerin mit Lebensmittelpunkt Wien, tritt in diesen Raum mit dem zwar wort-, ton- und bewegungslosen, dafür aber nicht-flüchtigen Medium der Malerei ein und lässt die sieben Opern mit dem Bildschatz der visuellen Medien, der unser Denken und unsere ethischen Standards ja nicht minder prägt als das Bibelwort, in eigene Dialoge treten.