Orpheus Magazin, 01/2023, Susanne Dressler

Mitten im Himmel
»Kabbala« im Planetarium: eine fantastische Reise durch das Universum

Langsam senkt sich die Dunkelheit herab. Man sitzt, besser gesagt versinkt bequem in den ausladenden Stühlen des Planetariums Wien, blickt hoch hinauf in die pechschwarze Kuppel und wartet darauf, was von dort kommt. Im Gegensatz zu einer »normalen« Musiktheater-Vorstellung gibt es weder Bühne noch Orchestergraben. Musiker und Sänger sind für die Zuseher nur beim Ein- und Auszug sichtbar, aber selbstverständlich bestens hörbar. Im Rahmen von Wien Modern konzipierte das sirene Operntheater »Kabbala – Und nun war es in der Mitte der Nacht«, ein Oratorium in hebräischer Sprache von René Clemencic.

Das hebräische Wort »Kabbala« bedeutet wörtlich »Überlieferung« und gilt als Fundament der jüdischen Mystik. In zehn Texten wird über die Schöpfung philosophiert. Wer nicht Hebräisch spricht – und das sind sicherlich nicht wenige im gut gefüllten Planetarium – versteht kein Wort. Keine Übersetzungs tafeln helfen den Unwissenden auf die Sprünge, und so bleibt die Musik des Komponisten, Dirigenten, Flötenvirtuosen und Leiters des Clemencic Consort ein meditatives Hintergrundgeräusch, während über den Köpfen, sprich am »Sternenhimmel« des Planetariums, leuchtende Farben, Kugeln, Spiralen, geometrische Formen aller Arten explodieren. Sternen- und Planetenhagel stürzen auf die Besucher ein, quasi mit Lichtgeschwindigkeit jagt man durch fremde Galaxien.

Wie aus der Ferne tönt die Musik nach, sanft, rau und fordernd intoniert von Gerald Grün (Trompete), Werner Hackl, Peter Kautzky und Christian Troyer (Posaunen), Robin Prischink und Adina Radu (Schlagwerk). Dirigent François-Pierre Descamps begleitet den optischen wilden Ritt virtuos. Die Countertenöre Nicholas Spanos und Bernhard Landauer, die Tenöre Gernot Heinrich und Richard Klein sowie der Bassbariton Colin Mason tragen das
ihre zum Gesamterlebnis bei.

Nach 70 Minuten wähnt man sich schon im schwarzen Loch verloren, da endet schlagartig das Projekt. Das sirene Operntheater, 1998 aus der Zusammenarbeit von Kristine Tornquist und Jury Everhartz entstanden, wagt sich wieder einmal auf außergewöhnliches Terrain und das Publikum folgt begeistert. Die unermüdlichen Bemühungen des renommierten Festivals Wien Modern erlebt man hier von seiner besten Seite und einmal mehr wird deutlich, dass man auch in Wien stets an Experimenten interessiert ist. Der Himmel ist pechschwarz beim Verlassen des Planetariums. Fast hätte man erwartet, ein paar farbige Blitze zucken über die Stadt und werfen bunte Schatten über Wien.

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