Die Ökonomie in der Regie

Das behandelt weniger die Frage von Verschwendung und Sparsamkeit auf der Bühne, sondern die Verwaltung der zur Verfügung stehenden Mittel. Zu den Mitteln des Regisseurs gehören: Auftauchen von (neuen) Figuren, Bühneneffekte, besondere Gefühlsdichten (wirksam meistens erst im Verlauf des Abends - damit kann man kaum beginnen), starke Regieszenen (die auch herausgelöst aus dem Verband der Inszenierung ihre Wirkung haben) Wenn ein Regisseur sich entschieden hat, wieviel er zu vergeben hat (wenn er sozusagen den Glanzwert seiner Momente und Bühnenerscheinungen bestimmt hat), muss er sich diese Mittel so einteilen, dass ihm der stärkste Moment, oder zumindest einer der stärksten Momente für den Schluss übrigbleibt. Dramaturgisch gesehen eine gute Standardlösung ist, mit einer Verausgabung zu beginnen, vor der Pause noch einmal stark zu sein, nach der Pause zu überraschen und zum Schluss ein grosses Finale zu verausgaben. Klug ist ausserdem eine Verdichtung vor dem Schluss, was aber ohnehin von selbst geschehen sollte, wenn das Publikum Anteil an den Figuren nehmen kann, bzw ins Stück eingetaucht ist.

In einem Zeitungsfeuilleton las ich den Kommentar einer Autorin über ihren Widerwillen der story, dem Plot gegenüber, über ihre Verachtung der dramaturgischen Bögen. Sie argumentierte mit der Realität, die niemals linear sei, in der es niemals Anfang und Ende gebe. Ich verstehe nicht, warum sich immer alle an der Realität orientieren: wie langweilig, in der Kunst bloss eine Kopie der Realität zu sehen und möglichst getreue Abbildung als Ziel vor Augen zu haben. Das Wort ist bereits unendlich fern von der Realität, indem es kulturelle Bedeutungskaskaden in sich organisiert. Grammatik ist eine Kunstkonstruktion des Denkens. Der Satz ist bereits eine grobe lineare Vereinfachung und Extrakt einer unfassbaren Komplexität. Wer nicht begreift, dass er sich nicht auf ein naturgewachsenes Mittel, sondern bereits auf eine Kulturtechnik stützt, hat nicht genau geschaut.

Jakob erzählte mir, dass er sich derzeit mit dem Sehen beschäftige: mit dem, was das Auge eigentlich optisch aufnimmt, bevor die Verarbeitung im Gehirn uns daraus einen Film herstellt. Bereits im Sehen also sind wir von „Realität“ weit entfernt. Noch deuticher macht mir das die (bereits verblasste) Erinnerung an den Sinnschock, den ich im Chemiestudium erlitt, als mir die Konsequenzen aus dem Erlernten den Boden wegzog: wie alles - Zeit, Raum - einer selektiven Übersetzung und Interpretation bedarf, um vom menschlichen Gehirn als Realität wahrgenommen zu werden.

Aber diese Autorin meinte mit Realität wahrscheinlich die sozialen Zusammenhänge, die losen Gefühle, die unfassbaren Beziehungen zwischen Menschen. Ebenfalls eine kulturelle, zeitabhängige Konstruktion...

Kristine Tornquist