Online Merker, 24.11.2023, Manfred A. Schmid (pdf)

Ein liebenswertes musikalisches Kleinod - schwungvoll aus der Taufe gehoben

Die Uraufführung der Phantastischen Revue Alice von Kurt Schwertsik (Musik) und Kristine Tornquist (Libretto), nach Lewis Carrolls ursprünglich für Kinder geschriebenen und längst zur Weltliteratur zählenden Büchern Alice im Wunderland und Alice. Hinter den Spiegeln, findet im Rahmen des Festivals Wien Modern im Odeon statt. Wien Postmodern wäre wohl zutreffender, denn Schwertsiks leicht zugängliche, tonale Musik, voll von humorvoll-ironischer Hintergründigkeit, hat mit den einst in Darmstadt geprägten modernen Kompositionsdoktrinen wenig zu tun. Gerade deshalb zählt er wohl zu Österreichs meistgespielten Komponisten und passt ideal zu Lewis Carroll, teilt er mit dem englischen Autor doch die Vorliebe für skurrile Komik und absurde Logik als Fundus tieferer Bedeutung. Schwertsik schreibt keine E-Musik, weil ihm die betonte Ernsthaftigkeit ein Gräuel ist, er sich selbst nicht allzu ernst nimmt und immer für Überraschungen gut ist. Hervorragende Voraussetzungen für einen unterhaltsamen. anregenden Abend, der sich auch einstellt: Gilt doch die für die (englische) Textfassung verantwortliche Kristine Tornquist als Österreichs erfahrenste und produktivste Librettistin, die sich auch als Leiterin des sirene Operntheaters, das bei dieser Produktion erstmals mit dem Serapions Theater zusammenarbeitet, längst einen klingenden Namen gemacht hat. Tornquist zeichnet, an der Seite von Max Kaufmann, auch für die Regie verantwortlich. Die Handlung wird in temporeicher Abfolge und ohne großen äußeren Aufwand dargeboten.

Die Interaktionen gelingen ausgezeichnet. Pantomimische, tänzerisch fein choreographierte Auftritte des 10-köpfigen Serapions Ensemble werden zum Teil von Sängerinnen und Sängern textlich erhellt, was sich als durchaus abwechslungsreich und sinnhaft herausstellt. Ob es sich nun Alices Begegnung mit der Grinsekatze handelt – diesmal gibt’s zur Abwechslung gleich mehrere, eng aneinander geschmiegte Grinsekatzen -, um Jabberwocky oder um die Teaparty bei der verrückten Hutmacherin, jede dieser Szenen hat ihren eigenen Reiz. Das weiße Kaninchen ist so gestresst und gehetzt, dass es gleich von zwei oder drei Kaninchen dargestellt wird. Höhepunkte des Abends sind die zwei Auftritte der königlichen Familie, in genialen Kostümen von Mirjam Mercedes Salzer. Dazu trägt auch der fanfarenartige Marsch bei, den Das Rote Orchester, unter der Leitung von Francois-Pierre Descamps, pompös und parodieren, zum Besten gibt. Schwertsik weiß für jede Szene die passenden Klänge zu finden. Gospel, leicht Jazzig-Swingendes sind nur einige erhellende Beispiele für seinen eklektischen und dennoch stets unverwechselbaren und eigenständigen Komponierstil. Marke Schwertsik eben. Die hat es in sich und verleiht der Revue eine einzigartige, phantastische und märchenhafte Aura.

Gesungen wird hervorragend. Die vielbeschäftigte Alice wird von der Sopranistin Ana Grigalashvili dargestellt und ist fast immer auf der großen Drehbühne (von Mirjam Mercedes Salzer) zu sehen. Eine überzeugende Leistung. Romana Amerling stattet die Herzkönigin mit Aufmerksamkeit erheischenden Koloraturen aus, und der vielseitig einsetzbare Bassbariton Steven Scheschareg bestätigt einmal mehr seinen Ruf als begnadeter Sänger/Darsteller. Starke Leistungen erbringen weiters die Mezzosopranistin Solmaaz Adeli, der Countertenor Armin Gramer, der Tenor Gernot Heinrich sowie der Bariton Andreas Jankowitsch.

Der Erfolg der Uraufführung dieses geistreichen musikalisch-szenischen Kleinods lässt sich am begeisterten Applaus ablesen, der auch dem leading team und vor allem Kurt Schwertsik gilt. Wie agil und schlaksig der 88-jährige Komponist auf- und abtritt, korrespondiert so trefflich mit der jugendlichen Frische seiner Musik, dass es einfach eine Freude ist.

Andere Kritiken