Online Merker, 15.09.2020, Karl Masek

WIEN / sirene Operntheater im F23, Breitenfurter Straße:
2. Teil des Kammeropernzyklus „Die Verbesserung der Welt“, „ELSA“ (Uraufführung)

Der Weg von Schnitzler zu Diwiak & Ferek-Petric

Und weiter geht der „Marathon des sirene Operntheaters in 7 Runden“. „Die Nackten bekleiden“. Eine moderne Paraphrase zu Arthur SchnitzlersFräulein Else“ wird uns angekündigt.

Arthur Schnitzlers Novelle aus dem Jahr 1924 ist ein innerer Monolog. Else, Tochter einer Aristokratenfamilie, ist in Gefahr, durch Verarmung den sozialen Status zu verlieren. Elsas Vater hat Geld veruntreut, sie will ihn vor einem Gefängnisaufenthalt bewahren. Der reiche Kunsthändler Dorsday soll um ein Darlehen von 30.000 Gulden gebeten werden. Dorsday will das Geld zur Verfügung stellen, fordert aber dafür die Erlaubnis, Fräulein Else nackt betrachten zu dürfen…

Spielt Fräulein Elses innerer Monolog und ihre Konfliktsituation zwischen Loyalität zu ihrem Vater und dem Dilemma in einer Zeit, in der Status über Moral geht und Geldnot den Ruin bedeuten kann, in einem Trientiner Kurort, so verortet die Grazer Autorin Irene Diwiak ihr dreiteiliges Libretto für die Komponistin Margareta Ferek-Petric (* 1982 in Zagreb, Schülerin u.a. von Chaya Czernowin und Ivan Eröd) in die Toilettenanlage eines Internats und ein Zimmer des 17-jährigen Schülers Nicholas Dorsday (!).

Der Inhalt: Drei halbwüchsige Schüler (Dorsday, Staudinger und Moser), gleichermaßen sexuell verklemmt wie notgeil, betrachten mit steigender Erregung Nacktfotos im „Playboy“ und auf ihren Handys. “Frauen aus Pixeln und Papier. Statt Haut nur Make-up und Hochglanzpapier…“. Sie  wetten, wer von ihnen über die Ferien eine „Frau in echt“ dazu bringt, sich auszuziehen. Die drei Schnösel sprechen dabei einen zeitgeistigen Soziolekt, mit ein paar sprachlichen Anleihen, die nach “Magic afternoon“ des Wolfgang Bauer zu schielen scheinen.

Ein Foto soll alles beweisen, der verwöhnte Nicholas löst diese Aufgabe mit Geld, indem er die verschuldete Putzfrau bei den Dorsdays, Elsa, überredet, sich gegen Bezahlung vor ihm auszuziehen und fotografieren zu lassen. Er prahlt mit seinem Reichtum und seinen Ersparnissen.

Die 30-jährige Elsa (deren offensichtlich wenig geliebter Mann „falschen Leuten vertraut“ und in Spielschulden steckt) ist verblüfft über das Ansinnen Nicholas‘, dreht aber bald den Spieß um, geht nicht nur auf das leichtsinnig ausgesprochene Geldangebot ein, sondern verzehnfacht ihrerseits die Geldforderung: 5000! Erzählt obendrein von Wunschträumen als ganz junges Mädchen, von schönen, reichen Männern, die ihr Geld zuwerfen, wenn sie in einem Club „an der Stange tanzt“…

Das Nacktfoto wird nicht geschossen, der desillusionierte Nicholas „kleidet“ Elsa, indem er ihr frühzeitig zuruft, sich wieder anzuziehen. Der Deal mit Elsa endet im Desaster, die Wette ist verloren…

Die Inszenierung von Kristine Tornquist ist auch diesmal von gelungener Regie-Handwerklichkeit. Die fünf SingschauspielerInnen werden bis ins letzte Detail gekonnt geführt, stellen sehr glaubwürdig und ohne Peinlichkeit die pubertären Nöte, gleichzeitig die emotionale Verarmung dieser auch „Internats-Geschädigten“ packend dar. Die Sänger waren auch Bühnenarbeiter und Kulissenschieber bei den Szenenwechseln (Schülertoiletten-Kinderzimmer-Schülertoiletten). Das nennt man Ökonomie am Theater!

An der Spitze Georg Klimbacher als „Dorsday“ mit arrogantem Auftreten als Schutzpanzer gegen all seine Unsicherheiten - und trotzdem regt sich Mitleid mit einem, der sich alles kaufen kann - „selbst das, was er nicht braucht“, dessen größter Wunsch es aber ist, dass endlich jemand ihn beim Vornamen nennt („Sag(t) bitte Nicholas zu mir“), sowohl zu Elsa als auch zu den Schulfreunden in der Schlussszene. Sein ausbaufähiger Bariton korrespondiert ideal mit der Rollengestaltung. Auf Augenhöhe die beiden Schulfreunde „Moser“ (der weiche Countertenor Kevin Elsnig, welcher virtuos zwischen Sprechstimme im Brustregister und gesungenem Kopfregister changiert, so als wäre er tatsächlich mitten im Stimmbruch. Dazwischen mit passendem Charakter (Counter-)Tenor Vladimir Cabak (der „Staudinger“ mit der lässigen Kappe).

Die Zweite Szene dominiert Solmaaz Adeli als früh abgeklärte, lakonische Elsa, die ihrerseits Nicholas „nackt“ dastehen lässt, mit persönlichkeitsstarker Bühnenpräsenz und belastbarem dunkel getöntem Mezzosopran, der auch im Höhenregister punktet.

Bärbel Strehlau war die Spezialistin der stummen Rollen (Turnlehrerin &  Schwester Immaculata, der einzigen beiden Frauen im katholischen Knabeninternat).

Margareta Ferek-Petric lieferte ein einstündiges Werk voll ironischer Verspieltheit und Lust an der musikalischen Pointe ab. Sie hat vom bloßen Komponierhandwerk her einiges los, was sich in einer eindrucksvollen Choralsequenz zeigt, wenn von der Nonne Immaculata die Rede ist.

Das Ensemble Zeitfluss, hinter den Bühnenbildern postiert, hatte Verschiedenartigstes zu meistern. Originell, dass das Orchester zugleich (Sprech-)Chor und somit Kommentator des Geschehens war. Es handelt sich neben Instrumentationseffekten sonder Zahl auch um eine prononcierte Geräuschpartitur bis hin zu häufigem Einsatz der „Körperinstrumente“, wie die Musiklehrer immer sagen. Auch Staubsaugergeräusche, die Nicholas Kopfschmerzen bereiten, kamen aus dem Orchester! Der sichere Koordinator all dessen: Edo Micic.

Die „2. Runde“ des Kammeropern-Marathons ist sehr erfolgreich absolviert – sozusagen 12 von den 42 Marathon-Kilometern. Jubel und Bravi für einen starken Opernabend. Man möchte den Verantwortlichen zurufen: Kommt bis in den November hinein weiter gut durch den Marathon, und auch Covid 19 soll euch dabei nichts anhaben!

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