Barbara Oettle

Oettle, Barbara

Künstlerin.

Liebe Barbara,

unlängst kehrte ich vor den Toren Portugals um, zurückzukehren quer durchs südliche Europa, ohne das gelobte Land des Magalhaes, da Gama und Camões gesehen zu haben, denen ich nicht nur die geschichtliche Gewissheit verdanke, dass die Erde rund sei, sondern dass sie zugleich dort ein Ende habe für mein so begrenztes Fassungsvermögen lateinischer Kultur. Dem französischen und spanischen Itinerar ein portugiesisches aufzusetzen überstieg meine Kräfte ernsthafter Wahrnehmung. Was Du mir indessen, von den Küsten des Atlantiks zurückgekehrt, über den letzten Hafen vor Atlantis berichtetest – fast mehr das Wie als das Was – ist von so zauberhafter Poesie, dass ich mich fürchte, dereinst den Fuss in den Staub Lusitaniens zu setzen. Ist es Verrat, mit geschlossen Wimpern und Nüstem Amalia Rodrigues Fados zu hören, Deine träumerischen Tagebuchnotizen zu lesen und sich der Anekdoten zu erinnern, die Deine Wintermonate in Lissabon zu einem Kachelwerk begleiteten, das am Ende aller Mühen, im Parkhotel Weggis am Vierwaldstättersee ankam?

Alles, was so nach Zufall aussieht: der Auftrag, noble Badezimmer künstlerisch auszurichten, dies mit glasierten Kacheln im Sinne der Azulejos arabischen Ursprungs auszuführen, diese Technik in Lissabon zu erproben und das ebenso gewichtige wie delikate Produkt unter Abenteuern, Havarien und buntesten menschlichen Fährnissen brennen und heimführen zu lassen, gleichzeitig ein Land, seine Leute und Gebräuche kennen und lieben zu lernen, verdient kaum zufällig genannt zu werden. Eine innere Logik, ein verborgener Zwang treibt uns wohl, in kaum anders als vorbestimmten Momenten unseres Lebens Dinge zu tun und Wege zu wählen, die eine schöpferische Finalität in sich bergen.

Dass Du Dir in jungen Jahren in Stuttgart die graphischen Künste aneignetest und sie in Wien an der Kunstakademie vertieftest, gab Dir einen Wanderstab zur Hand, zwischen Hamburg und Luzern, dem Wiener Waldviertel und Val Solda, sowie auf den verzweigtesten Reisewegen Frankreichs, Italiens und Spaniens zu wechseln und sollte es zu Fuss nach Compostela sein. Zum Ruhekissen diente Dir Belesenheit und Kultur des Herzens; im Mantel von Träumen und asketischer Genügsamkeit geborgen, wählerisch im Umgang mit Wenigen, aber ästhetisch berauschbar von allem Naturhaften, folgtest Du schlafwandlerisch und doch vom ehernen Willen ermuntert den Sirenenstimmen, denen sich schon Empfindsame wie Hölderlin, Rimbaud und Rilke nicht entziehen konnten. So 'überschreibst' Du die Phasen Deines Werde- und Wirkeganges mit immer neuen Erlebnissen und die vorangehenden bleiben in ihrer evolutionären Transparenz sichtbar, ganz wie die kunstvollen Überschreibungen in Deinen ephemeridischen Bildern, Phototypien und Collagen. Was mich an Schiefergestein erinnert, wo die Schichtungen von Fauna und Flora in dünnsten Jahrmillionen naturhafter Grazie übereinanderliegen. Auch das Fragmentarische ist dort zu finden, was stets Unausgesprochenes, Ganzes, Vollkommenes ja Künftiges ahnen lässt. Deine flüchtigen Photographien erwirken so das Gefühl vom Ganzheitlichen dahinter, von der Fülle des noch Möglichen, ohne dass es zur Neige ausgebreitet werden muss. Deswegen ist wohl alles Zeichnerische reicher und vielsinniger als jedes zuende gemalte Oeuvre, der Ausschnitt ist ein heimlicher Blick in eine versprochene Weite, ins Eigentliche, Konkrete, Absolute.

Deine Kompromisslosigkeit, mit der Du Dein Leben als bewusstes Gestalten und dieses als einem ästhetischen Imperativ unterworfen forderst, können wohl nur wenige verwandte Menschen durchhalten; allzu bequem mogeln wir uns durch eine Welt voller Kunststoff, Medienvulgarität, globalen Einerleis, moralischer Billigkeit und gesellschaftlicher Fäulnis. Dass Du im winterlichen Portugal noch die Spuren der Urtümlichkeit, der sprichwörtlichen wenn auch unübersetzbaren saudade fandest, die Melancholie aussterbenden Nationengefühls, die Schwermut äonenalter Charaktere, die Klänge eines verhallenden Lusitaniens, die Würde der Armut, die Schönheit des Marginalen und die Zerbrechlichkeit des Zufälligen, ist wohl eingeschrieben in einen Rahmen von zeitlicher und örtlicher Notwendigkeit in diesem, Deinem Lebens- und Schöpfungsmoment, den mit den folgenden Seiten und Bildern dokumentiert zu sehen ich für glücklicher und beglückender finde, als mich etwa ans Steuer zu setzen und den portugiesischen Realien und Realitäten nachzuspurten, die ich wohl ohnehin wie Atalante nie einholen dürfte...

Es grüsst Dich in Deiner verwunschenen Atelier-Einsamkeit unter den Höhen des Rigi, in Bewunderung allen Wie Dus tust, Was Du tust.

Erasmus Weddigen